»Definitiv diskreditiert« sei Dominique Strauss-Kahn aufgrund seines »pathologischen Verhältnisses zu Frauen«. Mit diesen Schlussfolgerungen meinte die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, schon einige Stunden nach Bekanntwerden der Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Chef des Internationalen Währungsfonds am Sonntag auftrumpfen zu können. So klingt klammheimliche Freude über den tiefen Fall des bisher überlegenen Mitbewerbers um das französische Präsidentenamt im nächsten Jahr. Le Pen ist ihrem Sieg zum ersten Mal greifbar nah.
Initiative Das seit Längerem anhaltende Umfragehoch der »blonden Brandstifterin« (Financial Times) hatte bereits eine Woche vor Strauss-Kahns Verhaftung zu einer ungewöhnlichen Initiative geführt: In Paris trafen sich Vertreter der jüdischen und der muslimischen Gemeinde, um gemeinsam gegen das Erstarken der Rechtspopulisten zu protestieren. Die Veranstaltung ist Teil einer europaweiten Kampagne des Jüdischen Weltkongresses (WJC) und der amerikanischen Foundation for Ethnic Understanding. Dabei soll nicht nur betont werden, dass die Rechten der gemeinsame Feind von Juden und Muslimen seien, sondern es wird auch scharfe Kritik an konservativen Staatslenkern wie Nicolas Sarkozy und Angela Merkel geübt, die das Projekt des Multikulturalismus für tot erklärten und so Diskurse vom rechten Rand hoffähig machten. Juden und Muslime appellieren an die Parteien der politischen Mitte, die Finger von den aus Machtgründen hofierten rechten Schmuddelkindern zu lassen.
Ob die bei diesen Treffen gegebenen Impulse tatsächlich, wie erhofft, zu gemeinsamem Aktivismus von Basisgruppen führen, wird sich zeigen. Zwar gibt es gerade in Frankreich mit der von Rabbiner Michel Serfaty angestoßenen Amitié Judéo-Musulmane de France eine sehr umtriebige Organisation zur Verständigung von Juden und Muslimen. Doch mit Proklamationen wie »ein Angriff auf einen von uns ist ein Angriff auf alle«, die auch auf dem Treffen in Paris zu hören waren, sonntagsredet man nur allzu versöhnlerisch über jene Differenzen und Ängste hinweg, die das Zusammenleben von Juden und Muslimen in den vergangenen Jahren so erschwert haben.
Tabubruch Es war der unter Muslimen verbreitete Antisemitismus, der viele früher liberal eingestellte Juden vor der letzten Präsidentschaftswahl an die Seite des hart durchgreifenden Sarkozy getrieben hatte. Immer mehr Wähler liebäugeln heute, trotz aller Appelle, mit dem modernisierten Front National. Dass zumindest das Tabu gefallen zu sein scheint, eine Le Pen als wählbar in Betracht zu ziehen, veranlasst die Kandidatin zu wiederholten Avancen gegenüber »jüdischen Landsleuten«. Muslime nehmen diese Dynamik verschnupft zur Kenntnis und werten sie als weiteres Zeichen grassierender »Islamophobie«.