Wenn die Frauenkommission der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien zum Vernetzungstreffen lädt, dann klingt das erst einmal ziemlich entspannt: »Musik, Fingerfood, Getränke«. Dabei bedeutet dieses Beisammensein immer auch intensive Arbeit. Denn es ist jedes Mal ein Austausch zwischen ganz unterschiedlichen Gruppen – von orthodox bis säkular, aschkenasisch und sefardisch.
Berta Pixner ist die Vorsitzende der Frauenkommission der IKG. Und sie ist die Frau hinter diesen Treffen. Die 71-jährige Psychologin hat die Kommission 1998 gegründet. Damals sei diese Arbeit noch teilweise belächelt worden, wie sie sagt. Heute ist die Frauenkommission ein integraler Bestandteil der Arbeit der Gemeinde.
Frau Pixner, ganz grundsätzlich gefragt: Was sind über die vielen Jahre die Themen im Alltag jüdischer Frauen, die im Netzwerk bearbeitet werden?
Wir verstehen uns als Plattform für alle jüdischen Frauen in Wien und alle Frauenorganisationen. Grundsätzlich organisieren wir gemeinsame Projekte und Veranstaltungen. Das ist politische Arbeit. Wir wollen Frauen unterstützen und sie zu Aktivitäten anregen. Dabei ist es uns wichtig, die unterschiedlichsten Gruppierungen zur Mitarbeit zu bewegen – damit wir ein möglichst breites Spektrum abdecken können. Wir haben jetzt gerade erst eine Kick-off-Veranstaltung organisiert, zu der wir jüdische Frauen eingeladen haben, ihre Projekte vorzustellen. Da waren 14 Organisationen beteiligt, die unsere gesamte Vielfalt widerspiegeln. Es war uns ein Anliegen, diese Frauen zusammenzuführen, damit sie einander kennenlernen. Die Women’s International Zionist Organisation (WIZO) war eingeladen, der Tempelvorstand, Facebook-Gruppen, ESRA, das psychosoziale Zentrum der IKG Wien, das jüdische Berufsbildungszentrum, feministische Frauenorganisationen und andere Netzwerke. Daraus ist ein E-Mail-Verteiler entstanden, um diese Vernetzung weiter fortführen zu können. Es wird nun jährlich eine wiederkehrende Veranstaltung geben.
Sie sprechen von politischer Arbeit. Aber inwiefern ist Frauenarbeit dabei jüdische Arbeit?
Was ich unter politischer Arbeit verstehe, ist, an Konzepten zur Verbesserung der Situation der Frauen zu arbeiten. Dass wir für Seniorinnen einen Klub gegründet haben, nenne ich politisch. Aber Frauenarbeit betrifft alle Bereiche. Frauen bewirken, wirken und arbeiten in allen Lebensbereichen. Und beim Vernetzungstreffen waren alle letztlich begeistert, wie viele Aktivitäten jüdischer Frauen es in Wien tatsächlich gibt.
Sie machen diese Arbeit schon sehr lange. Was sind die täglichen Hürden? Was hat sich über die Jahre verändert?
Die Frauenkommission ist 1998 gegründet worden. Es war damals gar nicht so einfach, eine Frauenkommission zu etablieren und die Wichtigkeit einer solchen zu kommunizieren. Anfangs war es schwierig, ernst genommen zu werden. Durch die Frauenkommission hat sich das sehr verändert. Viele Dinge haben sich in der Gemeinde verändert. Zum Beispiel: Dass es heute Frauen im Tempelvorstand gibt, dass mehr Frauen im Kultusvorstand vertreten sind. Innerhalb dieser Vernetzung wiederum ist es wichtig, einander zu respektieren. Und da meine ich genau die Unterschiedlichkeiten und die unterschiedlichen Vorstellungen der verschiedenen Communitys – dass man einander respektiert und einander so sein lässt, wie man ist, zugleich aber in Kontakt kommt. Das ist sehr gut gelungen. Wir haben sehr positive Rückmeldungen erhalten. Man hat davor vielleicht Namen gekannt, vielleicht auch die Projekte, aber die Gesichter nicht.
Die vergangenen Jahre waren in Österreich äußerst turbulent: Pandemie und Demonstrationen mit antisemitischen Tönen, der Anschlag in Wien, Hamas-Alltagsantisemitismus, das Aufstreben der FPÖ. Was hat sich dadurch in Ihrer Arbeit geändert?
Was unsere Vernetzungsarbeit angeht, so war während der Pandemie freilich Stillstand. Sie ist danach erst wieder in Schwung gekommen. Was uns aktuell sehr beansprucht, ist die Verarbeitung der Gräuel und der Informationen, die man laufend aus Israel bekommt. Aber es hat einen sehr konstruktiven Umgang damit gegeben. Die Frauen haben gleich damit begonnen, Unterstützung für betroffene Israelis zu organisieren. Das ist zwar von jemand anderem initiiert worden, aber wir haben es unterstützt.
Hat sich Ihre Zielsetzung durch die vielen Krisen verschoben?
Sie haben sich nur verstärkt. Dass es eben weiterhin extrem wichtig ist, aktiv zu sein und einander aktiv zu unterstützen in den bereits auch vorher bestandenen Aktivitäten. Dass wir einander unterstützen und diese Aktivitäten als etwas sehen, das gerade in diesen Zeiten besonders wichtig ist. Dass wir eben an diesen positiven Inhalten weiterarbeiten. Bei der Vernetzung habe ich das Gefühl, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen Communitys in den Hintergrund rücken. Dass es einen gemeinsamen Halt gibt. Man rückt einander näher.
Was ist letztlich Ihr Ziel?
Das Ziel ist die Vernetzung, der Austausch miteinander. Die orthodoxen und säkularen Communitys miteinander zu verbinden, damit das intensiver wird. All die einzelnen Projekte, die dadurch entstehen, Ideen, die sich entwickeln und die man miteinander verfolgt. Aber auch die Stärken der Frau zu spüren und sie in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, ist ein Ziel: Empowerment. Das ist ein Wort, das auch von der orthodoxen Gemeinde zuletzt verwendet wurde. Das hat mich überrascht und gleichzeitig sehr gefreut.
Gibt es bei dieser Arbeit auch innerhalb der jüdischen Community viele Fallstricke zwischen Säkularen und Orthodoxen?
Wenn man akzeptiert, dass es unterschiedliche Wertehaltungen gibt, dann gibt es keine Reibereien. Es geht um die Sache, die man macht, und um die Aktivitäten. Es geht ja nicht darum zu bekehren. Und es funktioniert auch wunderbar in Wien. Es ist, glaube ich, eine Seltenheit, dass es so eine Einheitsgemeinde gibt.
Die Frauenkommission wurde vor mehr als einem Vierteljahrhundert gegründet. Worauf sind Sie ganz besonders stolz?
Dass sich die Haltung zu Frauenprojekten und Frauen an sich sehr verändert hat. Dass zum Beispiel bei den Wahlen zum Kultusvorstand das Thema Frauen ein wichtiges Thema ist und damit Wahlwerbung gemacht wird. Ein Drittel des Kultusvorstands sind schließlich Frauen. Das war davor nicht der Fall. Darauf bin ich sehr stolz. Das, und dass Frauenarbeit eben nicht mehr belächelt wird. Und natürlich die vielen Projekte und die Vernetzung unter den Frauen. Das sind ganz wichtige Sachen!
Mit der Pionierin der jüdischen Frauen-Netzwerkarbeit sprach
Stefan Schocher.