Alles begann vor zwei Jahrzehnten mit einem Scherz in der Kathedrale von Buenos Aires. An Argentiniens Nationalfeiertag waren dort, wie jedes Jahr, Vertreter verschiedener Religionen zur katholischen Messe geladen. An jenem 25. Mai traf Rabbiner Abraham Skorka den damaligen Erzbischof Jorge Bergoglio zum ersten Mal. »Er machte einen Witz über das schlechte Abschneiden des Fußballklubs, dessen Fan ich bin, und über die Erfolge seines geliebten Vereins San Lorenzo. Er war lustig, sehr sympathisch«, erinnert sich Abraham Skorka.
Der Bischof und der Rabbiner blieben in Kontakt, wurden Freunde, nahmen gemeinsame Projekte in Angriff. Das bislang wohl wichtigste: ein ausführlicher christlich-jüdischer Dialog – veröffentlicht als Buch. Seit vergangenem Jahr liegt es unter dem Titel Über Himmel und Erde auch auf Deutsch vor. Skorka und Bergoglio tauschen darin Gedanken zu religiösen und weltlichen Themen aus: Gott, Fundamentalismus, Tod, Abtreibung, Schoa, Globalisierung oder Armut.
Rom-Besuche Dass der frühere Vorsitzende der argentinischen Bischofskonferenz nun Papst ist, hat der Freundschaft zu Abraham Skorka keinen Abbruch getan – im Gegenteil. Viermal schon war der Rabbiner bei Franziskus im Vatikan. Er übernachtete sogar schon im Gästehaus »Santa Marta«, wo Bergoglio lebt. Bei einem ihrer Treffen wurde die Idee für ihr neues Projekt geboren: eine gemeinsame Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. »Diesen Traum begannen wir bei unserem ersten Wiedersehen im Vatikan zu träumen. Und Gott sei Dank sind wir nun dabei, ihn zu verwirklichen«, freut sich Skorka.
Vom 24. bis zum 26. Mai will der Papst in den Nahen Osten reisen. Neben Skorka wird seiner Delegation noch ein weiterer Landsmann angehören: Omar Abboud, der frühere Generalsekretär des argentinischen Islam-Zentrums. In Jerusalem will Franziskus mit Skorka die Westmauer besuchen. Weitere Stationen der Papstreise sind die jordanische Hauptstadt Amman und Bethlehem im Westjordanland. Franziskus an Jesu Geburtsort zu begleiten, sei ein Zeichen des Respekts, sagt Skorka. »Es geht darum, dem Papst in einem spirituellen Moment als Freund nahe zu sein, und zu zeigen, dass Religionen nicht spalten, sondern verbinden sollen – trotz aller Unterschiede.«
rektor Der 63-jährige Skorka ist Rektor des Lateinamerikanischen Rabbinerseminars in Buenos Aires. Dort werden Rabbiner für den ganzen Subkontinent ausgebildet, einige Absolventen arbeiten in Israel, den USA und Frankreich. Zudem amtiert Skorka seit fast 40 Jahren in der Gemeinde Benei Tikva. Deren Synagoge im Stadtteil Belgrano ist nach dem berühmten deutschen Rabbiner und Schoa-Überlebenden Leo Baeck benannt. Benei Tikva wurde Ende der 30er-Jahre von deutschen Immigranten gegründet. Bevor Skorka, dessen eigene familiäre Wurzeln in Polen liegen, dort anfing, hatte er bereits eine andere Gemeinde deutscher Einwanderer betreut.
»Da die Familien meiner Großeltern von den Nazis praktisch ausgelöscht wurden, klang Deutsch für mich früher sehr hässlich«, gibt der Rabbiner zu. Doch in den Gemeinden traf er auf betagte Immigranten, die kaum Spanisch sprachen. Skorka selbst war sowohl mit Spanisch als auch mit Jiddisch aufgewachsen. »So konnten wir uns verständigen«, sagt er.
Schoa Abraham Skorkas Deutschlandbild hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Ein einschneidendes Erlebnis war für ihn, als er einen deutschen Diplomaten in Buenos Aires über die dunkle Geschichte reden hörte, die das deutsche und das jüdische Volk verbinde. »Er sprach von einem Drama, in dem die Deutschen die Henker und die Juden die Opfer waren. Das waren starke Worte«, sagt Skorka. Später reiste er auf offizielle Einladung in die Bundesrepublik. Das Eintreten für den Staat Israel und den Aufbau einer neuen, engen Beziehung zum jüdischen Volk hält Skorka für wertvoll: »Ich weiß, dass das eine Politik des deutschen Staates ist, nicht einzelner Regierungen.«
Seinen Freund Jorge Bergoglio lud Abraham Skorka zweimal in die Leo-Baeck-Synagoge ein – jeweils zu Hohen Feiertagen. Er schenkte dem damaligen Erzbischof ein Gebetbuch aus dem 19. Jahrhundert, das deutsche Juden mit nach Buenos Aires gebracht hatten. Skorka wiederum erhielt die Ehrendoktorwürde der Katholischen Universität Argentiniens – Bergoglio verlieh sie ihm in einer bewegenden Zeremonie. Der Rabbiner hat auch noch einen anderen Doktortitel – er ist promovierter Chemiker.
Chemiestudium »Mein Vater war zutiefst religiös. Als ich Kind war, haben wir oft zusammen Tora gelesen. Aber er legte auch sehr viel Wert auf Wissen und Modernität«, erinnert sich Abraham Skorka. Der Junge sollte etwas Handfestes lernen, und so entschied er sich für ein Chemiestudium. Parallel dazu besuchte er das Rabbinerseminar. Ein paar Jahre lang arbeitete Skorka in einem Labor, doch dann behielt die geistliche Berufung die Oberhand. »Es war ein Kampf in mir«, sagt er. »Mit Menschen zu arbeiten, ist nicht einfach. Man hat mehr Ruhe, wenn man chemische Experimente macht. Aber Menschen überraschen einen jeden Tag von Neuem.«
Die Leidenschaft, mit der er sich sowohl religiösen als auch weltlichen Studien gewidmet hat, steckt Abraham Skorka in den interreligiösen Dialog, der in Argentinien Tradition hat. »Bei unserem Gedankenaustausch waren Bergoglio und ich uns in allen Themen nahe, von Nuancen abgesehen. Wir versuchten, ein tiefes Verständnis für den anderen zu entwickeln«, erzählt der Rabbiner und sagt dann mit Nachdruck: »Der Dialog ist doch die Grundlage der Bibel: Gott sagte zu Moses, Abraham sagte zu Gott, Gott sagte zu Adam … die Bibel ist ein einziger Dialog! Generell haben alle Probleme ihre Ursache im Fehlen eines Dialogs!«