Jacques Chirac

Frankreichs Juden zugeneigt

Jacques Chirac (1932–2019) Foto: imago images/Belga

Manche Menschen sind zu Lebzeiten sehr umstritten, doch nach ihrem Tod wird ihnen alles vergeben. So war es auch mit Jacques Chirac. Als Bürgermeister von Paris (1977–1995) und als französischer Präsident (1995–2007) brach er Unbeliebtheitsrekorde und galt als korrupt. Doch als er Ende September, drei Tage vor Rosch Haschana, nach langer Krankheit starb, war das alles vergessen. Fast alle Politiker und die Medien lobten ihn. Frankreichs Oberrabbiner Haïm Korsia meinte gar, die Juden im Land seien nun Waisenkinder. Zwischen Korsia und Chirac hatte sich im Laufe der Jahre eine enge Freundschaft entwickelt. Frankreichs Juden teilen dieses Gefühl jedoch nur bedingt.

»Rafle du Vel’ d’Hiv« Einerseits stimmt es, dass Chirac als ein Freund der Juden galt. Man erinnert sich noch gut daran, wie er 1995 Frankreichs aktive Rolle bei der Deportation der Juden benannte. Mit viel Würde betonte er: »An diesem Tag« – im Juli 1942, als bei der »Rafle du Vel’ d’Hiv« 13.152 Pariser Juden im Wintervelodrom zusammengepfercht und von dort in Durchgangslager und dann weiter nach Auschwitz deportiert wurden – »beging Frankreich etwas, das nicht wiedergutzumachen ist.« Frankreichs Juden hatten auf diese Worte lange gewartet. Erst ein Jahr zuvor hatte Chiracs Vorgänger François Mitterrand gesagt, die Juden werden »eine solche Anerkennung auch in 1000 Jahren nicht erhalten«.

Bis zu Chiracs Rede hatte das offizielle Narrativ die Franzosen als reine Opfer der Nazis geschildert, die mit den deutschen Verbrechen nichts zu tun haben. Nun wurde endlich zugegeben, dass französische Polizisten aktiv mitgeholfen hatten – manchmal sogar freiwillig ohne jeden Befehl von deutscher Seite.

In der Gemeinde hört man oft, Chirac habe sich Frankreichs Juden zugeneigt gefühlt. »Er bewunderte ihre Fähigkeit, sich für jedes Mitglied des Volkes zu interessieren«, sagt Chaim Nisenbaum, Sprecher von Chabad Lubawitsch Frankreich.

Israel Ganz anders verhielt es sich jedoch mit Chiracs Verhältnis zu Israel. »Er hatte mit uns ein Problem«, erklärt Avi Pazner, der als früherer Botschafter Israels in Paris oft mit dem Präsidenten zu tun hatte. Zwar folgte Chirac nur den Linien der seit de Gaulle üblichen pro-arabischen Außenpolitik Frankreichs. Doch als ihn israelische Sicherheitskräfte 1996 bei einem Spaziergang durch die Jerusalemer Altstadt weiterschoben, wenn er an palästinensischen Geschäften stehenblieb, rastete er regelrecht aus: »Das ist eine Provokation«, schrie er, »hören Sie damit auf, oder wollen Sie, dass ich nach Frankreich zurückfliege?« Ein paar Jahre später nahmen ihm viele Juden übel, dass er PLO-Chef Jassir Arafat an dessen Totenbett in der Nähe von Paris besuchte.

Egal, ob man ihn mochte oder nicht: Am Abend von Rosch Haschana war Jacques Chirac an allen jüdischen Tischen ein wenig präsent – hatte er doch 1995 mit dem Slogan »Mangez des pommes« (Esst Äpfel!) die Wahlen gewonnen.

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025