Russland

Fragen der Schoa

Eingang zum Holocaust-Zentrum in Moskau Foto: Ute Weinmann

Vier Studentinnen und ein Student sitzen konzentriert an einem Tisch und notieren eifrig jeden präzise formulierten Gedankengang ihres Professors. Es geht um die Klärung grundlegender Begrifflichkeiten und Zusammenhänge, ohne die sich die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden nicht in Worte fassen und verstehen lassen.

Seit drei Jahren beherbergt die Russische Staatliche Universität für Geisteswissenschaften RGGU nahe dem Kreml das »Zentrum für die Geschichte des Holocaust und der Völkermorde«.
Seit dessen offizieller Gründung haben lange vernachlässigte Themen endlich einen festen Platz im universitären Bildungssystem. Ohne Finanzierung durch die wichtigste säkulare jüdische Organisation in Russland hätte das Zentrum jedoch seine Arbeit nicht aufnehmen können. Der Russische Jüdische Kongress ist ausdrücklich daran interessiert, dass das Thema Schoa an russischen Universitäten unterrichtet wird und dafür qualifizierte Lehrende bereitstehen.

Grundstein Direktor Ilja Altman forscht seit vielen Jahren zum Holocaust auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und hat mit seinem Anfang der 90er-Jahre gegründeten Holocaust-Bildungszentrum den Grundstein dafür gelegt, dass das lange ignorierte Thema 2003 in die russischen Lehrpläne für den Geschichtsunterricht aufgenommen wurde. Und auch dafür, dass sich der Begriff »Holocaust« in Russland mit einer klaren Konnotation etabliert hat.

Jetzt soll sich in der Forschung widerspiegeln, was in den Schulen seinen Anfang nahm. Studierende und angehende Wissenschaftler bis 35 Jahre können am Lehrprogramm des Zentrums teilnehmen, das neben Vorlesungen und Seminaren mehrtätige Workshops vorsieht. Mit 60 bis 70 Anträgen stößt das Angebot auf großes Interesse. Hinzu kommen Konferenzen und Wettbewerbe. Inhaltlich reicht das Spektrum von der Erforschung der Schoa bis hin zu Problemen der Erinnerungs­kultur und der Holocaustleugnung. Ebenfalls im Fokus stehen der Mord an den Sinti und Roma und andere Genozide.

Antisemitismus Als weiterer Themenblock kommt Antisemitismus hinzu. »Es geht uns nicht allein darum, zu konstatieren, wie schlimm alles ist und einzelne Vorfälle anzuführen«, sagt Altman. »Uns interessieren Erfahrungen mit praktikablen Gegenansätzen.« Als Beispiel führt er den Vortrag eines Studenten über die Situation in Norwegen an, wo nach Umfrageergebnissen 96 Prozent der Bevölkerung Kenntnis vom Holocaust haben. In einem Folgeschritt erhielt der Student die Aufgabe, Voraussetzungen und Hintergründe für einen derart stark ausgeprägten Wissensstand herauszuarbeiten.

Obwohl bei Umfragen unter Juden der Holocaust an erster Stelle – noch vor religiösen Überzeugungen oder dem Verhältnis zum Staat Israel – als prägend für die jüdische Identität stehe, zeichne sich in der Praxis ein völlig anderes Bild ab, ist Altman aufgefallen. Auf jüdische Dozenten oder Studenten der RGGU übe das Zentrum wenig Anziehungskraft aus, sagt er.

Stattdessen fänden sich Interessierte ein, die sich über den vorgegebenen thematischen Zuschnitt mit der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs befassen wollen oder sich Erkenntnisse in Bezug auf Gegenwartsfragen erhoffen. Dies ist eine erfreuliche Tendenz, die durchaus dem Bildungsauftrag des Zentrums entspricht. Doch jüdische Organisationen denken derzeit darüber nach, woran dies wohl liege.

Von dem Zentrum begleitete Disserta­tio­nen sind bereits in Arbeit. Es gibt etliche unzureichend auf­gearbeitete The­men­kom­plexe, wie die Rettung von jüdischen Überlebenden durch sowjetische Ärzte. Einige Ergebnisse dieser Forschungen werden Anfang Februar in Berlin bei Ausstellungen im Russischen Haus, dem Roten Rathaus und im Janusz-Korczak-Haus einem breiteren Publikum vorgestellt.

Schweiz

NGO verklagt Schweiz wegen Kauf israelischer Drohnen

Ein Kollektiv aus Genf will mit einer Klage erreichen, dass die Schweiz keine Drohnen aus Israel beschafft

 17.07.2025

London

Geheimbesuch vom Monarchen

Er kam, um ihr persönlich zum Geburtstag zu gratulieren, und blieb eine halbe Stunde: König Charles III. war bei Anita Lasker-Wallfisch zu Gast

von Michael Thaidigsmann  17.07.2025

Auszeit

Mit Schwimmkleid ins Wasser

Wie orthodoxe Frauen im Sommer am Zürichsee eine Auszeit vom Alltag nehmen

von Nicole Dreyfus  17.07.2025

Geburtstag

Einziger jüdischer NASA-Chef: Dan Goldin wird 85

Als er Administrator der Raumfahrtbehörde wurde, wollte er alles »schneller, besser und billiger« hinkriegen. Denn Geldfresser bremsten die NASA

von Imanuel Marcus  17.07.2025

Iran

Esthers Kinder

Wie die älteste Diaspora-Gemeinschaft 2700 Jahre überlebte – und heute erneut um ihre Existenz kämpft

von Stephen Tree  16.07.2025 Aktualisiert

Interreligiöser Dialog

»Das ist Verrat«

Ein Imam aus den Niederlanden nahm an einer Reise muslimischer Geistlicher nach Israel teil - prompt verlor er seinen Job

von Michael Thaidigsmann  15.07.2025

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025