Die Veranstaltung heißt Summer University, aber die meisten der 500 jungen Juden, die an dem größten jährlichen Event der European Union of Jewish Students (EUJS) teilnehmen, kommen nicht wegen der angebotenen Seminare.
Die jungen Leute übernachten in zwei Hotels in einer kleinen Küstenstadt auf der Halbinsel Chalkidiki im Nordosten Griechenlands. Sie haben mächtig zu tun, Workshops, Kurse und Vorträge unter einen Hut zu bringen – und natürlich die beliebteste Option: das Programm sein zu lassen und an den Strand zu eilen.
Die Teilnehmer lernen sich bei einem Cocktail oder auf nächtlichen Motto-Partys kennen. Beziehungen werden geknüpft, und ehe die Woche zu Ende ist, werden Telefonnummern ausgetauscht, Facebook-Fotos getaggt und Wiedersehenspläne geschmiedet.
Für ein jüdisches Europa, das mit den Herausforderungen von Assimilation und Mischehen zu kämpfen hat, ist die Summer U eine Erfolgsgeschichte. Mehr als nur ein paar Ehen sind im Laufe der Jahre daraus hervorgegangen. »Wir müssen ehrlich sein: Wenn wir nicht verschwinden wollen, müssen wir einander heiraten«, sagt EUJS-Geschäftsführerin Deborah Abisror. »Und das Verrückte ist: Es funktioniert sogar.«
Chance Deborah Teboul aus Marseille bekennt, dass sie die Summer U mit einem ganz bestimmten Ziel besucht. »Ich wollte neue Freunde treffen, und vielleicht ergibt sich die Chance, einen Mann kennenzulernen«, sagt sie lächelnd. »In meinem Alter kann man keine jüdischen Leute kennenlernen, es sei denn, man geht jeden Samstag in die Synagoge.« Bei einem Salsa-Kurs zu Beginn der Summer U tanzte Teboul mit einem Schweizer Studenten, mit dem sie jetzt, wie sie sich ausdrückt, »eine Art Beziehung« hat.
Geschichten wie die ihre sind gang und gäbe bei der Summer U, die vom 28. August bis 4. September stattfand und seit 1984 jedes Jahr Juden im Alter zwischen 18 und 35 anspricht.
In den vergangenen Jahren besuchte der Geschäftsführer des American Jewish Committee (AJC), David Harris, die Summer U, um einen Vortrag zu halten. Dieses Jahr entsandte das AJC zwei junge Vertreter, die Workshops leiteten und die ganze Woche blieben. Harris’ Assistentin Ellisa Sagor meint, die Sommeruniversität biete »ein vollständigeres Bild davon, wie das europäische Judentum heute aussieht«. Die jungen Leute »wirken überhaupt nicht ängstlich oder schüchtern«, sagt sie. »Sie zeigen, dass sie stolze Juden sind.«
Sagor betont, wie wichtig es sei, zuzulassen, dass sich im Laufe der acht Tage Freundschaften und Verbindungen entwickeln. Eine andere AJC-Teilnehmerin lernte bei der letzten Summer U ihren jetzigen Verlobten, einen jungen Mann aus Kolumbien, kennen.
Partys Doch trotz des großen Erfolgs der Sommeruniversität als soziales Ereignis besteht die Gefahr, dass die Elemente des Feierns die ernsteren Komponenten überlagern. Die nächtlichen Partys mit Themen wie Facebook oder »Roter Teppich« – jeweils mit entsprechender Kleiderordnung – waren proppenvoll, während die meisten Workshops von höchstens 30 Leuten besucht wurden.
Es ist für eine Powerpoint-Präsentation nicht leicht, mit Beach-Volleyball zu konkurrieren. »Natürlich feiern viele gern. Aber was soll man von einer Ansammlung jüdischer Studenten erwarten?«, sagt Andrea Gergely, die zur neuen EUJS-Präsidentin gewählt wurde. Die Budapesterin, deren Amtszeit im Januar beginnt, will nach eigenen Angaben mehr Abwechslung in die Seminare bringen und Kunstgewerbe, Yoga und Sport in den Veranstaltungskalender aufnehmen. Sie hofft, dass die Summer-U-Besucher ein breiteres Spektrum von Angeboten annehmen werden.
Die meisten Teilnehmer scheinen glücklich darüber, dass ihnen die Summer U die Gelegenheit bietet, Leute kennenzulernen.
»Jüdische Ehen und Freundschaften gehören zu den inoffiziellen Zielen jeder jüdischen Organisation«, erklärt Aleksey Krasnitsky, Projektmanager bei der Ukrainischen Vereinigung Jüdischer Studenten. Er wohnt in Kiew und besucht die Summer U seit sechs Jahren. »Ich würde mich freuen, wenn nach dem Jugendtreffen eine jüdische Ehe geschlossen wird – das ist meiner Meinung nach das Wichtigste.«
Befragt zur Summer U, sprechen die meisten Teilnehmer zuerst über die Seminare und Redner, dann über die Bedeutung einer gesamteuropäischen jüdischen Freundschaft. Am Ende senken sie ihre Stimme und gestehen in fast verschwörerischer Weise, sie hofften, hier eine Beziehung zu finden.
Nächte Stephen Przyrowski aus Paris, der die Summer U zum dritten Mal besucht, ist der Meinung, die Betonung, die viele Teilnehmer auf das Thema Liebe legten, könne allerdings auch in Stress ausarten. »Man kann beobachten, wie viele, vor allem Männer, sich unter Druck setzen«, sagt er.
»Sie bemühen sich zu sehr, eine Frau zu finden.« Illan Obadia, IT- und Finanzberater aus Paris, der das erste Mal dabei ist, meint, er sei nicht an einem One-Night-Stand interessiert. »In der Nacht entstehen Paare, die bereits wieder kaputt sind, wenn der Morgen kommt«, sagt er mit einem ironischen Lachen. »Wenn ich die Frau meines Lebens finden könnte, ja, aber für eine Nacht? Nein.«
Denoch blickt der junge Mann nicht zynisch auf das Jugendtreffen. Am Hoteleingang haben die Organisatoren weiße Bettlaken aufgehängt mit der Botschaft: »Schreib deinen Wunsch auf – wir werden ihn verwirklichen!« In großen Buchstaben fordert Obadia die Veranstalter auf, eine Winter-U, eine Herbst-U und eine Frühlings-U ins Leben zu rufen.