Tausende Männer und Jungen der ultraorthodoxen Gemeinschaft haben in London mit einer Zusammenkunft zum Fasten und Beten gegen eine angekündigte Gesetzesänderung protestiert. Die Labour-Regierung beabsichtigt eine Neuerung des Schulgesetzes, die sichern soll, dass alle Kinder im Land den gleichen Zugang zu ausreichender Schulbildung erhalten und dass sich keine Schule, kein religiöses Lerninstitut oder Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, dem entziehen können. Eine der Maßnahmen soll dabei die verpflichtende Registrierung bei den zuständigen Aufsichtsbehörden sein. Repräsentanten der orthodoxen Gemeinschaft fürchten staatlichen Einfluss und einen Säkularisierungszwang in den Jeschiwot und wollen die Neuerung verhindern.
Jahrzehntealtes Recht auf Homeschooling und religiöse Erziehung haben in Großbritannien dazu geführt, dass viele ultraorthodoxe Kinder und Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr den Großteil ihrer Zeit in Jeschiwot verbringen. Laut Nahamu, einer jüdischen Organisation gegen Extremismus in der jüdischen Gemeinschaft, steht die intensive religiöse Ausbildung in keinem Verhältnis zum minimalen oder gar nicht stattfindenden Unterricht in säkularen Fächern wie Mathematik oder Biologie. Manche Jugendliche hätten nicht einmal Englischkenntnisse, könnten kaum schreiben und seien weit entfernt von einem der Mittleren Reife entsprechenden Abschluss.
Ein Sprecher des Yeshiva Liaison Committee (YLC), das die Jeschiwot vertritt, sagt wiederum, dass die Jeschiwot gar keine Schulen seien und die Verantwortung für die Ausbildung in säkularen Fächern bei den Eltern liege. Das nennt Nahumu-Gründerin Yehudis Fletcher ein Scheinargument. Denn die Länge eines durchschnittlichen Jeschiwa-Tages mache zusätzlichen Unterricht zu Hause unmöglich.
Traditionelle Erziehungsmodelle bedroht?
Die für die Schulbildung zuständige Lokalbehörde in London-Hackney, wo in Stamford Hill der größte Anteil ultraorthodoxer Juden lebt, bemängelt fehlenden Kontakt mit der ultraorthodoxen Gemeinschaft. Es gehe um 1586 Kinder und Jugendliche, bei deren Ausbildung man kaum etwas über die Lehrpläne oder den Zustand der Lehrgebäude wisse.
YLC hingegen sehe die traditionellen Erziehungsmodelle bedroht, so der Sprecher. Der Präsident der Londoner ultraorthodoxen Gemeinden, Rabbi Binyomin Stern, spricht sogar von einem »Kreuzzug«. Joe Mintz, Professor für Erziehungswissenschaften am London University College, dreht den Spieß schließlich um. Der Staat könne einiges von der ultraorthodoxen Welt ohne Smartphones und Computer lernen.
Nahumu habe nichts gegen den ultraorthodoxen Lebensstil, betont Fletcher. Doch »in den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Brauch verfestigt, Kindern säkulare Bildung zu verweigern, anders als in der Vergangenheit, wo sie noch Berufe erlernten«. Ohne ausreichende Fertigkeiten und Qualifikationen sei die Aussicht auf gut bezahlte Arbeitsplätze schlecht, und die dadurch entstehende zunehmend verbreitete Armut schade nicht nur der Gemeinschaft. »Es ist unerlässlich, dass die Haredi-Gemeinschaft und die Regierung zusammenarbeiten, damit Schulen entstehen, wo jene Kenntnisse erworben werden können, welche diese Gemeinschaften über viele Jahrzehnte hinaus aufrechterhalten können.«