Schnell sollte es gehen, wie so oft bei Polens Gesetzgeber. Das neue Tierschutzgesetz sollte den seit 2015 regierenden Nationalpopulisten das sympathische Image von Politikern mit einem großen Herz für Tiere geben. Jaroslaw Kaczynski höchstpersönlich, der Vorsitzende der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), stellte das »Fünf-Punkte-Programm für die Tiere« im polnischen Abgeordnetenhaus, dem Sejm, vor.
»GUTE MENSCHEN« Doch dann machte er einen für ihn typischen Fehler. Er sei überzeugt, so Kaczynski, dass »alle guten Menschen für das neue Gesetz stimmen« würden.
Damit brachte er Abgeordnete aller Fraktionen gegen sich auf. Denn im Umkehrschluss hieß das, dass alle Politiker, die gegen das neue Tierschutzgesetz stimmen wollten, schlechte Menschen seien. Das Problem: Kaczynski hatte als letzten der fünf Punkte wieder das Schächtverbot für Rinder, Schafe und Geflügel nach den von Judentum und Islam vorgesehenen Regeln aufs Tapet gebracht.
GRUNDRECHT Obwohl Polens Verfassungsgericht dieses Verbot bereits vor Jahren gekippt hatte, da es mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren ist, gelang es Kaczynski und seiner PiS, das Gesetzesprojekt samt erneutem Schächtverbot innerhalb von einem Tag durch den Sejm zu peitschen. Nach einem Monat intensiver Beratung im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, fragen sich nun allerdings viele nur noch, wie es zu dieser seltsamen Verbotsansammlung kommen konnte.
Das Schächten könnte in Zukunft nur für den heimischen Koscher- und Halal-Markt erlaubt sein.
Denn die »Fünf Punkte Kaczynskis« regeln ganz unterschiedliche Dinge: So dürfen künftig keine Pelztiere mehr gezüchtet und auch ihr Fell nicht mehr zu Mänteln, Jacken und Mützen verarbeitet werden; Haus- und Hofhunde dürfen nicht mehr an die Kette gelegt werden; im Zirkus dürfen keine Tiere mehr auftreten, egal ob dressiert oder nicht; dafür dürfen künftig Tierschützer in Begleitung von Polizisten Ställe auf Bauernhöfen kontrollieren – auch gegen den Willen der Stallbesitzer – und Tiere retten.
Und als letztes der in Wirklichkeit wichtigste Punkt: Das Schächten von Tieren soll nur noch für den heimischen Koscher- und Halal-Fleischmarkt erlaubt sein, also nur noch für die wenigen Tausend in Polen lebenden Juden und Muslime. Der Export von geschächtetem Fleisch nach Europa, Israel und in muslimische Länder soll hingegen vollständig verboten werden.
DEBATTEN »Wir haben langsam die Nase voll von diesen ständigen Debatten über Koscherfleisch und den jüdischen Gott, der es angeblich gerne sieht, wenn Tiere beim Schächten ordentlich gequält werden«, empört sich eine Warschauer Jüdin, die nicht mit Namen genannt werden will. »Ich kann unsere Gemeindebund-Vorsitzende gut verstehen, wenn sie sich zu diesem neuen Tierschutzgesetz, das gerade im polnischen Parlament beraten wird, nicht äußern will.«
Es sei nun schon das dritte Mal in zehn Jahren, dass polnische Politiker durch neue Tierschutzgesetze eine gegen Juden und Muslime gerichtete Kampagne losgetreten hätten. Ausgerechnet zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest am 18. September, habe der Parteichef der Nationalpopulisten, Jaroslaw Kaczynski, behauptet, dass »alle guten Menschen« sein Tierschutzgesetz unterstützen würden.
STEREOTYPE Polens Oberrabbiner Michael Schudrich ist es auch langsam leid, sich immer wieder die antisemitischen Stereotype von den angeblich grausamen und blutrünstigen Juden um die Ohren schlagen lassen zu müssen. Zwar erläuterte er in einer Senatssitzung, dass beim Schächten das Tier nach dem tödlichen Schnitt durch die Halsschlagader und die Luftröhre innerhalb von Sekunden das Bewusstsein verliere und nichts mehr spüre, doch schriftlich legten weder er noch die jüdische Einheitsgemeinde Protest gegen das Schächtverbot ein.
Dies tat erst Rabbiner Shalom Dov Ber Stambler von Chabad Lubawicz Polska am 12. Oktober, einem weiteren Debattentag im Senat. »Das Schächten ist weder eine Tierquälerei – dies verbieten uns Tora und Talmud ausdrücklich – noch eine ›Ritual-Schlachtung‹, wie es in Polen oft fälschlich heißt«, schrieb er in seinem offenen Briefe an die Senatoren.
RELIGIONSFREIHEIT Tierrechte seien wichtig und zu respektieren, aber es gebe auch ein Menschenrecht auf freie Religionsausübung. Die vorgeschlagene Lösung, dass für die in Polen lebenden Juden noch geschächtet werden dürfe, für den Export ins Ausland aber nicht mehr, werde zu einer so starken Preissteigerung führen, dass sich kaum noch ein religiöser Jude in Polen das koschere Fleisch werde leisten können.
Polen ist einer der wichtigsten Lieferanten für koscheres Geflügel und Rindfleisch in Europa.
Auf europäischer Ebene kam – ebenfalls am 12. Oktober – Hilfe von Rabbiner Menachem Margolin von der European Jewish Association (EJA) mit Sitz in Brüssel und zahlreichen weiteren Rabbinern, Gemeindevorsitzenden und Politikern aus ganz Europa.
In einem offenen Brief forderten auch sie dazu auf, das Schächtverbot für den Export aus dem geplanten Tierschutzgesetz zu streichen. Bislang sei Polen einer der wichtigsten Lieferanten von koscherem Fleisch in Europa und garantiere damit die Religionsfreiheit der Juden, wie sie in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtscharta festgelegt sei. Mit dem neuen Tierschutzgesetz würde Polen das Signal aussenden, dass mit einem einfachen Gesetz jüdisches Leben in Europa verhindert werden könne.
MILLIARDENVERLUSTE Ein noch stärkeres Argument dürften aber die Milliardenverluste der Bauern gewesen sein, die durch das Schächtverbot ihre Existenz verlieren würden. Ein Experte von der Wirtschaftshochschule SGH in Warschau rechnete den Senatoren und Abgeordneten vor, dass sie mit ihrem Tierschutzgesetz den Export von fast 60 Prozent des Geflügel- und 30 Prozent des Rindfleischs verbieten würden.
Dies seien im Jahr 2019 bei insgesamt 1,4 Millionen Tonnen Geflügelfleisch allein 855 Tausend Tonnen in einem Wert von rund 7 Milliarden Zloty (1,6 Mrd Euro) gewesen. Hauptabnehmer sind Deutschland und andere Länder der Europäischen Union. Polnisches Rindfleisch werde zu 80 Prozent exportiert. Von den insgesamt 380 Tausend Tonnen gingen 2019 rund 115 Tausend Tonnen Koscher- und Halal-Rindfleisch in sogenannte Drittländer, also nach Israel, in die Türkei und in andere muslimische Länder.
GEFLÜGEL Der Senat stimmte am Ende über fast 70 Änderungsanträge ab, erlaubte wieder das Schächten des Geflügels, während dasjenige von Rindern und Schafen verboten bleiben soll, verlängerte aber das Inkrafttreten das Gesetzes für die Koscher- und Halal-Fleischbranche bis zum Jahr 2025.
Jetzt ist wieder der Sejm, die erste Kammer des Parlaments, am Zug. Er kann den Senat überstimmen, und dann hätte Polens Präsident Andrzej Duda das letzte Wort.