Eine umstrittene Gemäldesammlung in der Schweiz könnte Fluchtgut von jüdischen Vorbesitzern enthalten. Die Stiftung der Sammlung Bührle hat nach Überzeugung eines Historikers nicht genug getan, um die Herkunft der Werke zu prüfen. Das müsse nun endlich nachgeholt werden, forderte Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums, am Freitag in Zürich. Ohne die jüdischen Sammler gäbe es die Sammlung so nicht, meinte Gross. »Ohne Verfolgung wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen.«
Die Sammlung Bührle umfasst mehr als 600 Werke. Rund 180 sind seit Ende 2021 als langjährige Leihgabe im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich zu sehen. Bei der Eröffnung entspannte sich eine Kontroverse.
Historiker kritisierten, dass Bührles Rolle als Waffenlieferant der Nazis und seine Einkäufe von Werken aus jüdischem Vorbesitz nicht genügend hinterfragt und dokumentiert worden seien. Unklar sei, ob die Werke zu fairen Preisen gekauft worden seien oder ob Besitzer unter Druck hätten verkaufen müssen. Solche Werke werden als Fluchtgut bezeichnet.
Emil Bührle, Schweizer Waffenfabrikant deutscher Herkunft, hatte die Sammlung ab 1936 und bis zu seinem Tod 1956 zusammengetragen. Er soll manche Werke deutlich unter dem Marktwert gekauft haben, weil die jüdischen Besetzer in einer Zwangslage schnell Geld für die Flucht oder das Überleben brauchten. Bührle hatte über Auktionshäuser gekauft, soll aber anders als andere Sammler auch nicht gezögert haben, Werke aus gestohlenen Beständen jüdischer Sammler einzukaufen.
Die Stiftung hatte stets beteuert, sorgfältige Nachforschungen betrieben zu haben. Allerdings ließ sie nach neuen Erkenntnissen erst im Juni fünf im Kunsthaus ausgestellte Werke von den Wänden nehmen. Sie suche nun das Gespräch mit den Nachfahren der einstigen Besitzer oder Rechtsnachfolger, hieß es.
Gross war nach der Kontroverse beauftragt worden, zu prüfen, ob die Bührle-Stiftung genügend getan hatte, um die Geschichte der Vorbesitzer herauszufinden. Der Auftrag kam von der Stadt, dem Kanton Zürich und der Zürcher Kunstgesellschaft, der Trägerin des Kunsthauses.
Im Bericht heißt es zu fünf exemplarisch untersuchten Werken unter anderem von Gauguin und Cézanne: »Die Geschichten der zahlreichen jüdischen Sammler*innen, die hinter den Werken stehen, und ihre Schicksale werden in der bisherigen Forschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle kaum erwähnt. Oftmals ist die Forschung auch so oberflächlich, dass entscheidende Wegmarken übersehen werden.«
Bislang hat die Stiftung in 41 Fällen jüdische Vorbesitzer dokumentiert. Das Team von Gross fand mindestens 20 weitere Fälle. Um die Werke in einem historischen Kontext zu zeigen, müsse weiter geforscht werden. Gross legte der Zürcher Kunstgesellschaft auch nahe, sich über den Titel »Sammlung Emil Bührle« Gedanken zu machen.
Der schweizerische israelitische Gemeindebund (SIG) begrüßte die Empfehlungen von Gross. Bührles Vermögen, mit dem er die Sammlung finanzierte, habe nicht nur zum Großteil aus Waffenverkäufen an NS-Deutschland gestammt, er habe unter anderem auch von Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern profitiert, schrieb SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner in der Zeitung »Jüdische Allgemeine«. »Das ist wichtig, da die moralische Frage, wie heute mit dieser Sammlung vor allem in der Schweiz umzugehen ist, in den Fokus rückt.«