Ausgerechnet in dem Land, das in einer einmaligen Aktion 7000 Juden vor der Schoa rettete, häufen sich seit einigen Jahren antisemitische Vorfälle. Ernsthafte Gefahr sieht der Präsident der jüdischen Gemeinde Kopenhagen, Finn Schwarz, zwar nicht für in Dänemark lebende Juden, aber es werde von ihnen die bedingungslose Assimilation erwartet, sagt er. Viele junge Juden reagieren darauf mit Abwanderung.
Der Schock saß tief, als vergangenes Jahr ein Elfjähriger im Kopenhagener Stadtteil Østerbro auf dem Nachhauseweg vom Fußballtraining beim jüdischen Sportverein Hakoah von Jugendlichen angegriffen und mit Steinen beworfen wurde. Sie hatten das Logo auf der Sportkleidung des Jungen als jüdisch identifiziert. Es ist dies einer von 43 antisemitischen Vorfällen, die im Jahr 2013 von der Gemeinde gezählt wurden. 2009 gab es in Dänemark noch weniger als halb so viele Vorfälle.
gewalt Körperliche Gewalt gegen Juden trete jedoch nur vereinzelt auf, betont Gemeindechef Schwarz. Problematischer ist in seinen Augen, dass es schwieriger geworden sei, religiösen Praktiken nachzugehen. »Für junge Juden ist es eine enorme Versuchung, nach Israel oder in die USA auszuwandern – wo Jüdischsein nicht als etwas Negatives betrachtet wird. Wir kämpfen daher an zwei Fronten: gegen Antisemitismus, aber auch gegen die Abwanderung.«
Dass es in einigen Teilen Kopenhagens gefährlich ist, sich als Jude zu erkennen zu geben, weiß Martin Krasnik aus Erfahrung. Der Fernsehjournalist unternahm im vergangenen Jahr für eine Reportage einen Spaziergang mit Kippa durch den stark von arabischen Migranten geprägten Stadtteil Nørrebro. Die meisten hätten nicht auf ihn reagiert, sagt Krasnik. Einige Male sei er jedoch verbal attackiert worden, in einem besonders heftigen Fall von mehreren Jugendlichen, die ihm Gewalt androhten.
No-Go-Areas Sein Fazit: »Es gibt definitiv Stadtteile in Kopenhagen, in denen man keine Kippa tragen kann. Das ist traurig, aber die Realität. Es ist einfach Teil des Lebens in einer Welt, die von Konflikten geprägt ist.« Antisemitismus sei keineswegs ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, sagt Krasnik. »Dänemark ist sicherlich eines der am wenigsten antisemitischen Länder der Welt. Als Jude mit relativ großem Bekanntheitsgrad erlebe ich hier nie Antisemitismus.«
Dennoch: Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Gemeindemitglieder im Land von knapp 2700 auf etwa 1900 reduziert – auch als Reaktion auf die Politik der Regierung. Wie die restlichen skandinavischen Länder führte Dänemark vor einigen Jahren das Schächtverbot ein – ohne ersichtlichen Anlass, wie der Jurist Schwarz betont. »Die jüdische Gemeinde ist eine winzige Minderheit. Man fragt sich, warum Jahr für Jahr Debatten über unsere religiösen Praktiken geführt werden, anstatt über Probleme zu sprechen, die die Mehrheitsgesellschaft betreffen. Warum zum Beispiel wird uns Tierquälerei vorgeworfen, während die Jagd als dänische Tradition hochgehalten wird?«
schwächung Krasnik sieht den Grund für die dramatische Schwächung der Gemeinde bei der Institution selbst. »Es gibt mehr Juden in Dänemark als die Gemeinde Mitglieder hat. Das liegt schlichtweg daran, dass die Gemeindeführung darauf beharrt, orthodox zu bleiben. Ich halte das für fatal. Eine der ältesten jüdischen Gemeinden Europas verliert permanent Mitglieder, weil ihre Führung nicht bereit ist, liberalere Maßstäbe für die Mitgliedschaft anzusetzen.« Krasnik empfindet es als paradox, dass die Gemeinde einerseits so isoliert sei und die dänischen Juden andererseits sich so stark assimilierten.
Urteilte man allein nach der Lage des Jüdischen Museums in Kopenhagen, würde man vermuten, dass Dänemarks kleine jüdische Gemeinde und ihre Geschichte einen hohen Stellenwert im Land genießen. Das von dem Architekten Daniel Libeskind entworfene und dem Jüdischen Museum Berlin ähnelnde Gebäude liegt mitten im repräsentativen Garten der Christiansborg, dem Sitz von Regierung und Parlament.
erfolgsgeschichte Die Ausstellung beschreibt das dänisch-jüdische Verhältnis als fortdauernde Erfolgsgeschichte – und zwar aufgrund der Assimilation vieler Juden. Anders als in Berlin wirkt Libeskinds Stil mit seinen Ecken und Kanten im Kopenhagener Jüdischen Museum nicht so recht passend zu dem, wovon erzählt wird: einer einmaligen Freundschaft zwischen einer Mehrheitsgesellschaft und den Juden.
Schwerpunkt der Ausstellung ist eine während des Holocaust einzigartige Aktion: Im Herbst 1943 rettete die dänische Regierung 7000 dänische Juden vor der NS-Verfolgung ins neutrale Schweden. Dass die Idee, die Juden des Landes in Sicherheit zu bringen, von Schweden ausging, erfahren die Besucher im Jüdischen Museum Kopenhagen allerdings nicht. Was auch fehlt, ist die kritische Reflexion der in den Vitrinen präsentierten Biografien bekannter dänischer Juden, die aus »Dankbarkeit« gegenüber dem Königshaus zum Christentum konvertierten.
tradition Assimilation hat Tradition in Dänemark. Der Gemeindepräsident kennt das aus eigener Erfahrung. »Meine Eltern sind nach dem Zweiten Weltkrieg aus Russland gekommen. Wie man schon an meinem Vornamen hört, taten sie alles, um möglichst dänisch zu sein«, sagt Schwarz.
Seit Monaten wird in Dänemark heftig über die Beschneidung debattiert. Aus Schwarz’ Sicht ebenfalls eine typische Stellvertreterdiskussion, die letztlich nur dazu führe, dass junge Juden auswandern. »Es wird viel zu selten beachtet, wie sehr die Emigration eines Einzelnen unsere Gemeinde schwächt«, sagt Schwarz und berichtet von seinem Bruder, der wegen der dänischen Minderheitenpolitik nach Israel gegangen sei. »Er lebt dort mit seiner Frau und drei Kindern. Seine Emigration bedeutet also nicht, dass wir ein Mitglied verloren haben, sondern fünf.«