Der freigelassene Kremlkritiker Michail Chodorkowski hat angekündigt, sich für die Freilassung weiterer politischer Häftlinge in Russland einzusetzen. »Ich werde in dieser Hinsicht alles tun, was in meinen Kräften steht«, sagte Chodorkowski am Sonntag im Berliner Mauermuseum bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach zehnjähriger Haft. Es gebe noch viele Menschen, die aus politischen Gründen in den russischen Gefangenenlagern säßen. Er betonte zugleich, dass er in Russland nicht politisch aktiv werden wolle: »Der Kampf um die Macht ist nicht mein Ding.« Er wolle sich aber gesellschaftlich engagieren.
Konkrete Pläne für seine berufliche Zukunft gab Chodorkowski bei der Pressekonferenz nicht bekannt. »Ich habe erst vor 36 Stunden meine Freiheit wiedererlangt, Pläne für die Zukunft konnte ich noch nicht machen.« Er werde sich darüber mit seinen Freunden beraten. Einen Wiedereinstieg ins Geschäftsleben habe er nicht vor, unterstrich der 50-Jährige. Der Konzern Yukos, den Chodorkowski aufgebaut hat, ist mittlerweile zerschlagen.
Zurückhaltend äußerte sich der Kremlkritiker auf Fragen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der ihn am Freitag begnadigt hatte. »Es wäre vermessen, erfahrenen westlichen Politikern Ratschläge zu erteilen, wie sie sich einem so schwierigen Menschen meines Landes gegenüber verhalten sollen. Das werde ich nicht tun«, betonte Chodorkowski. Er erklärte auch, dass er keinen Hass gegenüber Putin hege.
Freilassung Der ehemalige Öl-Milliardär Chodorkowski war am Freitag nach seiner Freilassung nach Berlin gereist, wo er mit seiner Familie zusammentraf. Am Donnerstag hatte Putin überraschend eine Begnadigung von Michail Chodorkowski angekündigt. Der ehemalige Chef des Ölunternehmens Jukos saß seit mehr als zehn Jahren in Haft.
Doch auch als Häftling, wo er in einem Straflager Dokumentenmappen anfertigte, war Chodorkowski in der russischen Hauptstadt stets präsent. Seine im Gefängnis geschriebenen Bücher standen in den Schaufenstern Moskauer Buchläden, für das liberale Magazin »New Times« betätigte er sich aus der Haftanstalt als Kolumnist. Seine allgemein als politisch eingestufte Verurteilung lag stets als dunkler Schatten über der Regierung von Präsident Putin.
Forbes Der 1963 in Moskau geborene Chemiker Chodorkowski brachte es in den 1990er-Jahren im Zuge der Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen zu Reichtum. 2004 führte ihn das Magazin Forbes mit einem geschätzten Vermögen von 15 Milliarden US-Dollar auf dem 16. Platz seiner Liste der reichsten Menschen der Welt.
Parallel zu seinem Aufstieg als Geschäftsmann begann Chodorkowski, sich politisch oppositionell zu positionieren. Wladimir Putin wiederum hatte seit seinem Amtsantritt als Präsident im Jahr 2000 versucht, die politische Macht der russischen Oligarchen zu brechen.
Dass Chodorkowski sich nicht an das ungeschriebene Gesetz halten wollte, im Austausch für ungehinderte wirtschaftliche Tätigkeit seine Finger von der Politik zu lassen, sondern sich offen als Gegner Putins positionierte, wird allgemein als Grund für seine Verhaftung im Jahr 2003 und die folgende Verurteilung zu neun Jahren Haft wegen Betrug und Steuerhinterziehung angesehen. 2010 erfolgte in einem zweiten Prozess eine Verurteilung zu sechs weiteren Jahren Haft. Die Strafe wurde später reduziert, sodass Chodorkowski regulär im kommenden August aus der Haft entlassen worden wäre.
Opposition Bis vor Kurzem war noch über ein drittes Verfahren spekuliert worden, um Chodorkowskis Haftzeit auch über 2014 hinaus zu verlängern. Als einer von wenigen Experten hatte der Politologe und Publizist Leonid Radsichowski bereits wenige Tage vor der Ankündigung der Begnadigung vorausgesagt, dass Chodorkowski den Machthabern in Freiheit wesentlich nützlicher sei als im Gefängnis. Er bezeichnete Chodorkowski als »unfreiwilligen Anführer der Opposition«; es sei aber ausgeschlossen, dass die Mehrheit der Bevölkerung jemals einem »Milliardär, Juden und Privatisierer« folgen würde.
Auch Chodorkowski selbst hatte seine väterlicherseits jüdische Herkunft bereits früher als Hindernis genannt, das ihm niemals erlauben werde, in Russland Präsident zu werden. In einem aktuellen Interview mit der »Wirtschaftswoche« schloss Chodorkowski eine politische Betätigung nach der Haftentlassung erneut ebenso aus wie eine Rückkehr in die Wirtschaft. (mit epd)