Der ehemalige britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat am Dienstag seine umstrittenen Äußerungen zum Thema Antisemitismus zurückgenommen. Corbyns Mitgliedschaft in der Labour-Partei war im Oktober suspendiert worden, nachdem er die Ergebnisse einer Untersuchung der unabhängigen Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission zu antisemitischen Tendenzen in der Partei als übertrieben bezeichnet hatte.
SCHIKANEN Am Abend hob die zuständige Labour-Schiedskommission Corbyns Suspendierung dann wieder auf. Damit ist er erneut ordentliches Mitglied in Partei und Unterhausfraktion. Corbyn hat eigenen Angaben zufolge seit 46 Jahren das Labour-Parteibuch. Seinen Londoner Wahlkreis Islington vertritt er seit 1983.
»Um das klar zu machen, Sorgen über Antisemitismus sind weder übertrieben noch überspitzt«, hatte Corbyn auf seiner Facebook-Seite geschrieben. Er habe lediglich klar machen wollen, dass die große Mehrheit der Labour-Partei überzeugt anti-rassistisch sei und Antisemitismus entschieden ablehne.
Die ehemalige Abgeordnete Luciana Berger, die Labour 2019 verlassen hatte, sprach jüngst von einer «Kultur des Mobbings, der Vorurteile und der Einschüchterung» gegenüber jüdischen Mitgliedern.
In dem Bericht hieß es, die Partei und ihr Ex-Chef hätten Diskriminierung und Schikanen gegen Juden jahrelang zugelassen. Labour hat bis zum 10. Dezember Zeit, der Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission detaillierte Vorschläge zu unterbreiten, wie der Antisemitismus besser bekämpft werden kann.
Der 71-jährige Corbyn stand auch selbst häufig in der Kritik. Politiker warfen dem Alt-Linken eine einseitige Unterstützung der Palästinenser im Nahostkonflikt vor. Noch bevor er Labour-Chef wurde, bezeichnete er laut britischen Medien die im Gazastreifen herrschende Hamas, die unter anderem von der EU als Terrororganisation eingestuft wird, als «Freunde». Die IHRA-Definition zum Antisemitismus nahm Labour unter Corbyns Ägide erst nach langem Zögern an.
»SCHRECKLICH« Die ehemalige Abgeordnete Luciana Berger, die Labour 2019 verlassen hatte, sprach jüngst von einer «Kultur des Mobbings, der Voruteile und der Einschüchterung» gegenüber jüdischen Mitgliedern, welche Corbyns Amtszeit geprägt habe. «Das ist alles in aller Öffentlichkeit passiert, nicht etwa hinter verschlossenen Türen», so Berger.
Der frühere Labour-Außenminister David Miliband erklärte, Corbyns Handling des Themas sei «in jeder Hinsicht schrecklich» und von «völliger Blindheit» gekennzeichnet gewesen. Milibands Bruder Ed war vor Corbyn von 2010 bis 2015 Labour-Vorsitzender.
Corbyn war 2015 Labour-Chef geworden. Unter der Führung des Alt-Linken hatte die Partei bei der Parlamentswahl im vergangenen Dezember die schwerste Niederlage seit 1935 eingefahren. Im Anschluss trat Corbyn zurück und wurde im April von Keir Starmer als Parteichef abgelöst. mth/dpa