Ein Jahr lang lag die Causa Nisman mehr oder weniger im Dornröschenschlaf. In der vergangenen Woche beherrschte sie in Argentinien plötzlich wieder die Schlagzeilen. Und das, obwohl es durchaus noch andere wichtige Themen gab: die Beilegung des jahrelangen Schuldenstreits mit den Hedgefonds und die Rede von Argentiniens neuem Präsidenten Mauricio Macri vor dem Kongress. Dass der Fall des am 18. Januar 2015 tot aufgefundenen Staatsanwalts Alberto Nisman die Öffentlichkeit erneut aufrüttelte, lag an der Zeugenaussage des Ex-Agenten Antonio Stiuso.
AMIA-Anschlag Stiuso war einmal der mächtigste Mann des argentinischen Geheimdienstes Secretaría de Inteligencia und arbeitete bei der Untersuchung des Anschlags auf das jüdische Gemeinschaftszentrum AMIA von 1994 eng mit dem Sonderermittler Nisman zusammen. Gemeinsam verfolgten sie die sogenannte »iranische Fährte«. Doch im Dezember 2014 wurde Stiuso von der Regierung der damaligen Präsidentin Cristina Kirchner gefeuert – nach mehr als 40 Jahren im Geheimdienst. Eine der vielen Hypothesen nach Nismans rätselhaftem Tod war, dass der entlassene Agent seine Hände im Spiel gehabt haben könnte – um Kirchners Regierung aus Rache »einen Toten in die Schuhe zu schieben«. Im Februar 2015 machte Antonio Stiuso vor der Justiz eine kurze Aussage zu Nismans Tod – um sich dann für ein Jahr in die USA abzusetzen.
Doch nun ist Argentiniens bekanntester Spion wieder da und ließ sich mehr als 14 Stunden am Stück von der Ermittlungsrichterin Fabiana Palmaghini vernehmen. Nur einen Tag später verkündete Palmaghini, sie werde den Fall der argentinischen Bundesjustiz übergeben, sie sei nicht mehr zuständig. Ein Paukenschlag. Die Öffentlichkeit zeigte sich überrascht, die Klägerseite hingegen zufrieden. Denn die Angehörigen Alberto Nismans, an erster Stelle seine Ex-Frau in Vertretung der gemeinsamen Töchter, hatten schon seit Längerem gefordert, die Bundesjustiz müsse den Fall übernehmen, weil es sich um Mord handle – Mord an einem Staatsanwalt.
Und das versicherte nun auch Antonio Stiuso in dem Marathonverhör: Alberto Nisman sei wegen seiner Ermittlungen zum AMIA-Attentat umgebracht worden. Hinter Nismans Tod stecke »eine der Kirchner-Regierung nahestehende Gruppe«, erklärte Stiuso und deutete an, auch der Iran sei in den Mord verwickelt gewesen. Der frühere Geheimdienstmann gab außerdem zu Protokoll, Cristina Kirchner habe ihm und Nisman ausrichten lassen, sie sollten die iranische Fährte nicht weiterverfolgen – sie aber hätten sich nicht beirren lassen. »Nisman wurde ermordet, weil er immer weitergemacht hat«, sagte der Zeuge laut Anwesenden bei der Vernehmung.
Für Stiusos Anschuldigungen gibt es aber offenbar keine Beweise, das räumte selbst sein eigener Anwalt ein. Und Oscar Parrilli, Geheimdienstchef in der letzten Phase der Kirchner-Regierung, titulierte ihn als »Psychopath und Lügner«, der angeblich für den CIA und den Mossad arbeite.
Aber nicht nur Kirchner-Vertraute sehen Antonio Stiuso als wenig vertrauenswürdige Figur. Kommentatoren und Beobachter bewerteten seine Aussage mit Vorsicht. Als der Staatsanwalt Luis Moreno Ocampo, Ex-Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, in einer Talkshow äußerte, die Justiz müsse auch gegen Stiuso ermitteln, rief dieser zur allgemeinen Verblüffung in der Sendung an und attackierte in drohendem Ton seinen Kritiker.
Bundesjustiz Wie dem auch sei, nach dem Willen von Richterin Palmaghini soll nun die argentinische Bundesjustiz den Tod Nismans aufklären. Als Grund führte sie Stiusos Aussage an, aber auch die eines anderen Ex-Agenten, der Alberto Nisman gut kannte und die Möglichkeit eines Selbstmords ausgeschlossen hat.
Außerdem bestätigte Palmaghini, dass an jenem Sonntag, an dem der Staatsanwalt mit einer Kugel im Kopf in seiner Wohnung gefunden wurde, dort wohl Spuren verwischt wurden. Und dass es Manipulationen an Nismans Computer und Handy gab. Falls Argentiniens Justicia Federal den Fall tatsächlich übernimmt, wird die Mordthese wohl stark an Gewicht gewinnen. Ob die Bundesjustiz den Tod Alberto Nismans aber tatsächlich aufklären kann, steht noch in den Sternen.