Ukraine

»Es geht um Freiheit«

»Der G8-Gipfel im Juni sollte nicht in Sotschi, sondern in Kiew stattfinden«: Oberrabbiner Yaakov Bleich Foto: Gregor Zielke

Herr Rabbiner, die Situation in der Ukraine ist sehr angespannt. Sollten die Juden das Land verlassen oder bleiben?
Im Moment sehe ich, Gott sei Dank, keinen Grund, warum man das Land verlassen sollte. Es besteht keine direkte Gefahr für Juden. Die Situation ist angespannt und kritisch, aber derzeit stabil. Doch das kann sich ändern.

In den meisten jüdischen Gemeinden, vor allem im Osten des Landes, gibt es etliche Mitglieder mit russischen Wurzeln. Wie kommt man dort miteinander aus?
Ich habe mit Rabbinern und Gemeindevorsitzenden überall im Land gesprochen, auch im Osten. Alle wollen, dass die Ukraine vereinigt bleibt in den Grenzen von 1991, als sie ihre Unabhängigkeit erlangte. Auch von russischsprachigen Juden im Land habe ich nicht gehört, dass sie Russland beitreten wollen. Auf der Krim könnte es allerdings anders sein.

Die Einwohner der Halbinsel sollen am Sonntag darüber abstimmen, ob sie zu Russland gehören wollen. Was empfehlen Sie dortigen Juden?

Ich bin Rabbiner und mische mich nicht ins Wahlverhalten der Menschen ein. Aber ich halte das Referendum für illegal. Es widerspricht ukrainischem und internationalem Recht.

Vergangene Woche haben Sie Russland beschuldigt, mit antisemitischen Provokationen auf der Krim den Einmarsch zu rechtfertigen. Wie kamen Sie dazu?
Was wir zurzeit erleben, ist eine sehr zynische Instrumentalisierung des Antisemitismus. Es erinnert mich an die Zeit, als der Zar Pogrome anregte, um die Menschen von den Problemen im damaligen Russland abzulenken. Auf dieselbe Art benutzt Präsident Putin den Antisemitismus, um den Einmarsch zu rechtfertigen. Ich denke, dass es für uns als jüdische Gemeinde wichtig ist, dies offen auszusprechen und uns dagegen zu verwahren.

Trotzdem gibt es ihn, den Antisemitismus in der Ukraine. Die dafür bekannte Swoboda-Partei stellt in der neuen Kiewer Regierung drei Minister. Wie gefährlich sind die Nationalisten für die Juden im Land?

Es ist nur eine Übergangsregierung. Weil das Land in einer Krise steckt, war es wichtig, möglichst viele Parteien zusammenzubringen. Ich habe mit Ministerpräsident Arseni Jazeniuk und dem Präsidentschaftskandidaten Vitali Klitschko gesprochen. Beide garantieren für die Sicherheit der jüdischen Gemeinde und übernehmen die Verantwortung für die Swoboda-Mitglieder in der Regierung. Wenn Putin nicht die Ukraine bedrohte, würden wir gewiss die Nationalisten als Hauptgefahr betrachten. Doch unter den derzeitigen Umständen kommt die größte Gefahr von außen.

Unter Juden in der Ukraine ist Kritik zu hören, es gebe zu wenig Hilfe aus Israel.
Die Jerusalemer Regierung unterstützt uns auf verschiedene Weise. Zum Beispiel sind vergangene Woche neun Ukrainer, die im Februar auf dem Maidan verwundet wurden, zur medizinischen Behandlung nach Israel ausgeflogen worden. Man hat sie dort überaus fürsorglich und herzlich empfangen. Wir sind der israelischen Regierung sehr dankbar. Ich glaube, es ist jetzt nicht die Zeit, herumzukritteln, sondern wir müssen als jüdische Gemeinschaft zusammenstehen und überlegen, wie wir dabei helfen können, dass die Ukraine die Krise überwindet.

Sie tragen Ihren Teil dazu bei, indem Sie in den USA mit jüdischen Organisationen und der Regierung sprechen.
Ja, wir arbeiten vor allem mit NCSJ, der »National Conference Supporting Jews in Russia, Ukraine, the Baltic States & Eurasia«, eng zusammen. Es ist wichtig, dass auch die amerikanische Regierung von den Sorgen und Nöten der Juden in der Ukraine erfährt.

Sind Sie zufrieden mit dem, wie Washington auf die Krise in der Ukraine reagiert?
Wir würden gern Konkreteres sehen, aber ich denke, die Regierung tut, was sie kann, um unser Land zu unterstützen. Wir wollen keinen Krieg, sondern Frieden durch Verhandlungen. Wir hoffen, dass es den USA und den europäischen Verbündeten gelingen wird, Moskau ausreichend unter Druck zu setzen, sodass es zur Einsicht kommt. Denn was Russland derzeit auf der Krim tut, sendet ein schlechtes Signal in die Welt.

Sie sind vergangene Woche mit US-Außenminister John Kerry zusammengetroffen und haben ihn gebeten, sich dafür einzusetzen, dass der G8-Gipfel im Juni nicht in Sotschi, sondern – sehr symbolisch – in Kiew stattfinden soll. Was hat Kerry Ihnen geantwortet?
Er sagte, es sei eine gute Idee. Aber die Entscheidung hänge eben nicht nur von den USA ab, sondern auch von den anderen G7-Staaten. Ich würde mich sehr freuen, wenn die jüdische Gemeinschaft in Deutschland Bundeskanzlerin Merkel bitten würde, der Verlegung des Gipfels nach Kiew zuzustimmen. Das wäre ein sehr wichtiges Signal.

Am Sonntag sprach der erst im Dezember aus der Haft entlassene frühere Oligarch Michail Chodorkowsky bei einer Demonstration auf dem Kiewer Maidan. Dabei zitierte er den ukrainischen Nationaldichter Taras Schewtschenko: »Kämpft, und ihr werdet siegen, Gott ist auf eurer Seite.« Hat er recht?

Ich denke, die Ukraine ist ein Land, das Gott gesegnet hat. Das ukrainische Volk kämpft heute für Freiheit, Wahrheit, Demokratie und gegen Lüge und Propaganda. Ich denke, Gott ist mit der Wahrheit.

Mit dem Oberrabbiner der Ukraine und Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses sprach Tobias Kühn.

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025