Auf keinen Fall einer dieser typischen Touristen sein, die brav die aufgelisteten Sehenswürdigkeiten und Restaurants aus dem Reiseführer abklappern – moderne Reisende wünschen sich direkten Kontakt zu den Menschen, die vor Ort leben, interessante Gespräche, Einblicke in andere Kulturen und den Alltag der Menschen plus Essen und Trinken in Lokalen, die typische Spezialitäten und keine Touristen-Einheitskost bieten.
Zum individuellen Reiseerlebnis-Trend gehört auch, möglichst nicht in Hotels und Pensionen zu übernachten – weltweit ermöglicht vor allem durch das 2008 gegründete amerikanische Unternehmen Airbnb, das Touristen und Anbieter von Privatquartieren miteinander in Kontakt bringt.
Vom im ursprünglichen Namen enthaltenen Konzept »AirBed&Breakfast«, Luftmatratze und Frühstück, ist dabei nicht mehr viel übrig geblieben, mittlerweile kann Airbnb von der Luxuswohnung in London bis zum koscheren Appartement in New York fast jeden Wunsch erfüllen.
Die Idee zu ihrem Unternehmen kam den Gründern Brian Chesky und Joe Gebbia 2007 kurz nach ihrem Umzug nach San Francisco. Weil eine große Designmesse mehr auswärtige Besucher anlockte als es Hotelzimmer gab und die beiden ihre Miete kaum bezahlen konnten, boten sie ihr Wohnzimmer als Privatquartier an – und brachten dort drei Gäste unter, die es genossen, gleich auch Kontakt zu Einheimischen zu haben.
BUSINESSMODELL Chesky und Gebbia machten aus ihrer finanziellen Not ein Businessmodell, und starteten zusammen mit dem Architekten Nathan Blecharczyk im August 2008 den Onlinemarktplatz Airbedandbreakfast.com.
»Man kann kein misstrauischer, zynischer Menschenfeind sein und bei Airbnb mitmachen«, sagt Brian Chesky. Und gibt gleichzeitig zu, dass seine Sicht der Dinge nicht von jedem, und am Anfang schon gar nicht von Investoren geteilt wurde. »Als wir unser Unternehmen gründeten, dachten die Leute, wir seien verrückt geworden. Fremde würden nie bei Fremden übernachten, wurde uns gesagt, und denen, die es doch täten, würde bestimmt Schreckliches angetan.«
Das erste Jahr war entsprechend hart: Geldgeber, die das Risiko eingehen wollten, und Reisende fanden das Airbnb-Konzept gleichermaßen uninteressant. Aufgeben kam jedoch nicht in Frage. Mutter Deborah Chesky erinnert sich in Interviews daran, dass ihr Sohn sich mit 15 beim Eishockey das Schlüsselbein brach – und kurz darauf trotz Schmerzen wieder auf dem Eis stand, weil ihm das Spiel solchen Spaß machte.
Die Jungunternehmer setzten zunächst auf Mund-Propaganda der wenigen Kunden. Chesky und Gebbia fotografierten die angebotenen Wohnungen oder Zimmer selbst, um die Vermieter kennenzulernen. Zusätzlich verkauften sie recht erfolgreich Cornflakes-Packungen mit Bildern der damaligen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain; das Startkapital betrug schließlich 30.000 Dollar.
Harvard University 2010 hatte Airbnb, wie es mittlerweile abgekürzt wurde, schon 15 Angestellte, die in der Wohnung von Chesky und Gebbia arbeiteten. Genauer: In Cheskys Zimmer, er selbst wohnte derweil in Privatquartieren, die er über die Airbnb-Seite fand. Doch sehr viel mehr erzählen die Gründer über ihr Privatleben nicht. Chesky und Gebbia, der aus Atlanta stammt, hatten zunächst Design studiert, beide lernten sich an der Rhode Island School of Design kennen. Nathan Blecharczyk, dessen Geburtsdatum schon einmal mit »circa 1984« angegeben wird, wuchs in Boston auf. Er studierte Informatik an der renommierten Harvard University und ist mittlerweile mit einer Kinderärztin verheiratet.
»Im Grunde nur gearbeitet« hätten sie in den ersten Airbnb-Jahren, erinnerte sich Blecharczyk kürzlich in einem Gespräch mit dem »Guardian«. Und ihre Eltern hätten lange nicht ernst genommen, was sie taten. »Noch 2011 fragte mich mein Vater, wie lange ich ›das‹ denn noch machen wolle.« Erst als aus dem Start-up ein Milliarden-Dollar-Unternehmen geworden sei, habe er »realisiert«, dass es sich um etwas echt Großes handele. Den eigenen Reichtum sieht der Milliardär Blecharczyk gelassen: »Ich konzentriere mich eigentlich nur auf meine Arbeit und meine Familie.« Und fügt hinzu: »Ruhm interessiert mich nicht.«
Rundum privat lebt der Informatiker jedoch nicht, denn auch er bietet Airbnb-Kunden Unterkunft, allerdings anonym.
»Ich möchte genau so ein Gastgeber sein wie die anderen Anbieter bei Airbnb auch und auch das Gleiche erleben«, sagte er dazu. Mitgründer Joe Gebbia spricht in Interviews nie über sein Privatleben. Auf seiner Webseite schildert er aktuell jedoch ein ganz besonderes Erlebnis: Er und seine Kollegen waren zum olympischen Fackellauf nach Rio eingeladen worden und durften die Flamme ein Stück durch die brasilianische Metropole tragen: »Meine ganze Welt schrumpfte in diesem Moment und bestand nur noch aus einem einzigen Ziel: Die Fackel intakt an den nächsten Läufer zu übergeben.«
Vermietung Inzwischen sind die drei Gründer auf fast jeder »Milliardäre unter 35«-Liste vertreten. Wie seriös diese Rangfolgen sind, ist zwar nicht klar, ihr Zweck aber sehr wohl: kostenlose Werbung für die Ersteller, denn weltweit werden diese Listen gern veröffentlicht. Ein unumstrittenes Geschäftsmodell ist Airbnb jedoch nicht. Die Zweckentfremdung von Wohnraum als Ferienwohnungen, Lärmbelästigungen in Mietshäusern durch feierfreudige Touristen, sexuelle Übergriffe von Vermietern und Vandalismus von Mietern sowie die mangelnde Haftung des Unternehmens bei entstandenen Schäden sind weltweit viel diskutierte Themen.
Und auch das Hotelgewerbe hat inzwischen auf den Airbnb-Erfolg reagiert, der auch darin besteht, dass es in hippen Stadtvierteln traditionell weniger Hotels gibt als in den Bezirken, die beispielsweise für Geschäftsreisende interessant sind. In Williamsburg/New York, wo Airbnb stark vertreten ist, werden sehr zum Ärger von Gentrifizierungsgegnern gerade acht neue Hotels gebaut. Zudem planen einige große Ketten, Mitarbeiter einzustellen, die als persönliche Gastgeber auftreten und sich individuell um die Gäste kümmern.
Airbnb setzt dagegen auf Vernetzung und persönliche Kontakte, wie beim 2. Airbnb Open, einem dreitägigen Event, zu dem im vergangenen Jahr mehr als 5000 Menschen aus 110 Länder nach Paris reisten, um miteinander zu feiern, sich zu unterhalten und die Stadt kennenzulernen.
Bataclan Die drei Gründer, ihre Familien und die 40 ersten Angestellten des Unternehmens hatten sich damals gerade zu einem festlichen Abendessen in einem Appartement versammelt, als Chesky zufällig auf sein Handy schaute. Die Nachrichten waren alarmierend: Eine Schießerei in einem Restaurant in der Nähe, eine Explosion im Stade de France, eine Geiselnahme im Club Bataclan. Und die dringende Warnung, unbedingt zu Hause zu bleiben.
In einem Interview mit »Fastcompany« schilderte Chesky kurz darauf, wie er die Situation erlebte. »Ich konzentrierte mich einfach nur noch darauf, ruhig zu bleiben.« Er ging ins Badezimmer, setzte sich dort auf den Boden und rief den Sicherheitschef von Airbnb an. »Herauszufinden, wie wir uns um unsere 645 Mitarbeiter und die 5000 Gastgeber kümmern konnten, war das Wichtigste. Der furchtbare Ernst der Lage, die große Verantwortung, das war schon ein schwerer Schlag in die Magengrube.«
Schließlich stand fest, dass alle in Sicherheit waren. Er wolle nicht so weit gehen zu sagen, dass Menschen, die durch Airbnb eine Zeitlang zusammen lebten, für den Weltfrieden sorgen würden, sagte Chesky wenig später, »aber es führt doch zu einem größeren Verständnis für einander«. Und das sei doch schon positiv, »denn ich gehe davon aus, dass die meisten heutigen Konflikte zwischen Gruppen bestehen, die einander nicht verstehen, weil sie zu wenig voneinander wissen«.