Groß ist er, der Schreibtisch von Ari Ben-David. Auf dem Holz kleben kleine Notizzettel, der Gemeindevorsitzende der jüdischen Gemeinde im Johannesburger Stadtteil Greenside hat gleich drei Telefone. Zwei Aktenordner sind aufgeschlagen, der Laptop brummt leise.
Ben-David ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, doch die Arbeit für die Gemeinde nimmt derzeit fast genauso viel seiner Zeit ein. Mehr als ihm lieb ist. Ein kurzes Lächeln. »Es hat einige Mühe gekostet. Aber ich glaube, dass wir nun langsam alle Zweifel ausgeräumt haben«, sagt er. In Südafrika gehört die Improvisation nun einmal zum Leben wie die Luft zum Atmen.
Zwei Jahre, eigentlich seit seinem ersten Tag als Gemeindevorsitzender, hatte Ben-David gekämpft. Es galt, die Behörden in Johannesburg von der Errichtung eines großräumigen Eruws zu überzeugen und dazu die Erlaubnis der Union Orthodoxer Synagogen von Südafrika einzuholen.
durchsetzen Ben-Davids Vorgänger hatten die lange existenten Pläne nie wirklich konsequent verfolgt, Ben-David setzte sie schließlich durch. 110 Pfosten wurden in den vergangenen Wochen aufgestellt, um den 500 Mitgliedern den Alltag zu erleichtern. In dem symbolisch eingezäunten Bereich ist es am Schabbat erlaubt, Aktivitäten wie dem Tragen von Gegenständen nachzugehen. Gemäß der Halacha ist das außerhalb des Eruws zwischen Freitagabend und Samstagabend verboten.
»Wir wollten unseren Mitgliedern etwas Gutes tun, ihnen mehr Lebensqualität verschaffen«, erzählt Ben-David. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so viel Aufregung geben würde.« Er hat in den vergangenen Wochen erlebt, wie Religion auf die Angst vor Kriminalität trifft.
Der Eruw sei gefährlich, argumentierten Anwohner, deren Wände nicht einmal einen halben Meter von den fünf Meter vierzig hohen Pfosten stehen. »Kriminelle werden in weniger als zwei Sekunden heraus- finden, wie sie da hochklettern und über die elektrischen Zäune auf das Gelände springen«, diktierte Hausbesitzerin Sylvia Kugler einem Reporter der Lokalzeitung The Citizen in den Notizblock.
kriminalität Bis zur Veröffentlichung des Artikels traf die Errichtung des Eruws auf die volle Unterstützung der nichtjüdischen Bevölkerung. Die Gemeinde hatte die Anwohner mit Briefen und in persönlichen Gesprächen höflich informiert. Mit positiver Resonanz. Doch nach dem Zeitungsbericht griff plötzlich die allgegenwärtige Angst vor Verbrechen um sich.
Auf der anderen Seite von Ben-Davids Schreibtisch sitzt Gary Allen, der Sicherheitsbeauftragte der Gemeinde. Sein Handy klingelt, eine Bewohnerin hinterlässt ihre Telefonnummer und Anschrift, auch sie sei besorgt. »Wir werden gerne vorbeikommen«, sagt Allen in ruhigem Ton. »Wir finden eine Lösung.«
Zwölf Hausbesitzer haben sich beschwert. Auf sehr respektvolle Weise, wie Allen betont. In der Vergangenheit habe eine Minderheit von etwa zehn Prozent der Anwohner einen Umgangston gepflegt, der »an Antisemitismus grenzt«. In dem aktuellen Fall aber sei es tatsächlich allein um die Sicherheitssorgen gegangen. Rund 50 Morde passieren in Südafrika jeden Tag, auch die Zahl der Hauseinbrüche bleibt auf einem weltweit selten erreichten Niveau.
Dementsprechend ging die Gemeinde das Problem mit Hochdruck an. Dieses Projekt, sagt Ben-David, durfte einfach nicht scheitern. Seine Gemeinde wurde 1946 gegründet, sie ist die älteste in Johannesburg, dem Zentrum jüdischen Lebens in Südafrika. Die meisten aber wohnen heute in den östlichen Vororten, Ben-David will wieder mehr nach Greenside locken. Wie früher in den 70er-Jahren, als der Gemeinde noch mehr als 3.000 Mitglieder angehörten.
Dass diese Zahl wohl nie wieder erreicht werden wird, weiß auch der Familienvater. Denn seitdem hat sich die jüdische Bevölkerung, die als liberal gilt, in Südafrika auf rund 125.000 halbiert. Auch heute leben nirgendwo auf dem Kontinent mehr Juden als rund um Johannesburg, doch viele sind in den 90er-Jahren vor allem wegen der ansteigenden Kriminalität ausgewandert.
Stacheldraht Selbst Ben-David spielt immer mal wieder mit diesem Gedanken. Irgendwann will er vielleicht gehen, zunächst aber stellt er sich den besonderen Herausforderungen der Stadt. »Wir haben nicht gezögert und innerhalb weniger Tage entweder Stacheldraht oder Metallzacken an den Pfosten installiert«, sagt Ben-David. Er habe Verständnis für die besorgten Anwohner – auch wenn er nicht glaube, dass die Pfosten wirklich von Kriminellen missbraucht worden wären.
Während Ben-David sich wieder der Arbeit auf seinem Schreibtisch widmet, steigt Allen, der Sicherheitsbeauftragte in seinen BMW. Er will zeigen, wie die Gemeinde den Konflikt gelöst hat. Nur wenige Passanten laufen auf den Bürgersteigen. In Johannesburgs Vororten bewegt sich kaum einer ohne Auto fort. An einem Pfosten hält Allen an. Die Metallspitzen sind erst ab einer Höhe von einem Meter siebzig befestigt, damit kein Passant mit seiner Kleidung daran hängen bleibt.
Etwas gefährlich sieht es aus, das gibt auch Allen zu. »Aber der Eruw wird Greenside gut tun. Und nicht nur uns Juden.« Trotz der Dornen – dieser symbolische Zaun könne ein Gemeinschaftsgefühl schaffen, glaubt er. »Auch unter Menschen, die anderen Religionen angehören.«