»March of the Living«

Erinnerung mit Staatspräsidenten

March of the Living Foto: Flash 90

»March of the Living«

Erinnerung mit Staatspräsidenten

Zum 30. Mal treffen sich Tausende junge Menschen – diesmal mit Andrzej Duda und Reuven Rivlin

von Gabriele Lesser  09.04.2018 17:52 Uhr

Auch in diesem Jahr treffen sich Tausende junger Juden aus aller Welt zum Jom Haschoa in Polen. Der »Marsch der Lebenden« startet am Donnerstag unter dem Tor des Stammlagers Auschwitz mit der berüchtigten Inschrift »Arbeit macht frei«. Er endet im drei Kilometer entfernt liegenden Auschwitz-Birkenau, dem größten SS-Vernichtungslager.

Wie bereits 1988, als jüdische Studierende zum ersten Mal in Auschwitz an die Todesmärsche kurz vor Kriegsende erinnerten, führen ihn auch in diesem Jahr Überlebende an. Um die Bedeutung dieses besonderen Datums zu betonen – 30 Jahre »March of the Living«–, nehmen in diesem Jahr auch die Präsidenten Polens und Israels, Andrzej Duda und Reuven Rivlin, teil.

»Holocaust-Gesetz« Doch die Atmosphäre ist konfliktgeladen. Erst vor wenigen Wochen unterzeichnete Polens Präsident Andrzej Duda das Gesetz »zum Schutz des guten Rufs Polens«, umgangssprachlich auch »Holocaust-Gesetz« genannt. Es droht all jenen harte Strafen an, die dem polnischen Staat oder Volk eine Mitschuld oder auch nur Mitverantwortung für die deutschen Verbrechen zuschreiben.

Offiziell soll das Gesetz die missverständliche Formulierung »polnisches KZ« ausmerzen, das den Ort des Verbrechens – das deutsch-besetzte Polen – beschreibt, aber auch NS-Tätern fälschlich eine polnische Nationalität unterstellt. Allerdings taucht die Wortkombination »polnisches KZ« im Gesetz gar nicht auf, sodass der Verdacht naheliegt, dass in Wirklichkeit eine Debatte über polnische Nazi-Kollaborateure verhindert werden soll.

Doch nicht nur die offizielle Geschichtspolitik Polens wirft einen Schatten auf den diesjährigen Marsch der Lebenden. Mit Sorge sehen die Betreuer der Jugendlichen auch den Treffen mit polnischen Jugendlichen entgegen. Denn Antisemitismus, Rassismus und der Mythos einer Nation edler Judenretter sind gerade unter Polens Jugend stark auf dem Vormarsch.

Hasssprache Forschungen des Warschauer Sozialpsychologen Michal Bilewicz zeigen, dass religiöse Verschwörungstheorien wie »Juden brauchen zum Backen von Mazzenbrot das Blut von Christenkindern« ebenso populär sind wie die Übernahme einer rassistischen Hasssprache aus dem Internet oder die Stigmatisierung von Andersdenkenden als »Feinde« und »Verräter«. Einer anderen Studie Bilewiczs zufolge hat die Mehrheit der Erstwähler im Alter von 18 bis 24 Jahren bei den Parlamentswahlen 2015 für rechte und rechtsradikale Parteien gestimmt. Maßnahmen gegen das Abdriften einer ganzen Generation nach rechts haben bisher weder Schulen noch Universitäten ergriffen.

Schon zu Beginn des Jahres präsentierte Alicja Bartus, die Direktorin des Instituts für Menschenrechte in Oswiecim, das alarmierende Zwischenergebnis der Studie »Was lernen polnische Jugendliche bei einem Besuch in Auschwitz?«.

Die Hälfte der befragten 720 Oberschüler war nach zwei Tagen Bildungsprogramm in der Gedenkstätte nicht in der Lage, die Zahl der Opfer zu nennen: insgesamt 1,1 Millionen, darunter eine Million Juden, 64.000 christliche Polen, 21.000 Roma, 14.000 sowjetische Kriegsgefangene und 10.000 Häftlinge anderer Nationen. Fast alle Jugendlichen gaben als Hauptopfer in Auschwitz christliche Polen an, erst danach Juden und Roma.

Rätsel Auch die Frage, wann das Lager errichtet wurde, blieb für viele der 16- bis 19-Jährigen ein Rätsel: 1939? Oder vielleicht schon 1930, also vor Hitlers Machtergreifung? Oder erst 1949, also vier Jahre nach dem Krieg? Für 60 Prozent erwies sich die Frage nach dem Namen und Schicksal auch nur eines Häftlings als zu schwierig.

Die Ursache für das Scheitern der Holocaust-Vermittlung an Polens Schulen sieht Bartus in der Unterrichtsmethode: Jugendliche lernen nicht, Fakten zu einer sinnvollen Geschichte zusammenzufügen. Seltsam findet sie auch, dass die Jugendlichen ihre intensiven Gefühle und ihre Empathie für die damaligen Opfer nicht auf die heutigen Opfer von Terror und Völkermord übertragen können. Letztlich bleiben so die Forderungen »Lasst uns erinnern!« und »Nie wieder!« leere Floskeln. Immerhin nehmen rund 1000 polnische Jugendliche ebenfalls am Marsch der Lebenden teil.

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Damaskus

Syriens Regierung erteilt erster jüdischer Organisation Lizenz

Mit Rabbiner Henry Hamras Stiftung »Jüdisches Erbe in Syrien« wird erstmals seit dem Ende der Assad-Dikatur wieder eine jüdische Organisation in dem arabischen Land aktiv sein

 11.12.2025

Museum

Auschwitz-Gedenkstätte zeigt neue Ausstellung

Mit einer neuen Ausstellung will die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau das Schicksal der Häftlinge des Konzentrationslagers zeigen

von Christiane Laudage  11.12.2025

USA

An der Columbia University war Theodor Herzl Antisemit

Ein Abschlussbericht zum Antisemitismus an der New Yorker Elite-Universität zeigt, wie tief die Israel- und Judenfeindlichkeit im Lehrplan verankert war

 11.12.2025

USA

Wer hat Angst vor Bari Weiss?

Sie gilt als eine der einflussreichsten konservativen Medienmacherinnen des Landes. Aber was will die neue Chefin von CBS News eigentlich?

von Sarah Thalia Pines  11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Nachruf

Gebäude wie Jazzmusik

Frank Gehry hat die Architektur tanzen lassen – was auch mit seinem Judentum zu tun hatte

von Johannes Sadek, Christina Horsten  10.12.2025

Hollywood

»Stranger Things« trotzt Boykottaufrufen

Während Fans den Start der letzten Staffel des Netflix-Hits feiern, rufen Anti-Israel-Aktivisten zur Ächtung der Serie auf

von Sophie Albers Ben Chamo  10.12.2025

Toronto

20 Mesuot aus Seniorenheim gestohlen

Die Polizei geht von einem Hassverbrechen aus

 09.12.2025