Niederlande

Erinnerung in kleinen Schritten

Geschichte erzählen: in der neuen Ausstellung Foto: Monique Kooijmans

Als Emile Schrijver am Montagmorgen zur Arbeit kam, warteten die ersten Gäste bereits vor der Tür. Trotz des Feiertags waren sie früh auf den Beinen, um dem neuesten Teilstück von Amsterdams Jüdisch-Kulturellem Viertel (JCK) einen ersten Besuch abzustatten. Das Nationale Holocaust-Museum, zu Fuß zehn Minuten von der Portugiesischen Synagoge und dem Joods Historisch Museum entfernt, konnte sich am Eröffnungstag über mangelnden Zuspruch von Amsterdamern wie Touristen nicht beklagen. »Es waren schon Dutzende Besucher da«, sagte JCK-Direktor Schrijver am späten Vormittag.

Erwartet wurden sie mit einem ungewöhnlichen Konzept an einem ungewöhnlichen Ort. Offiziell befindet sich das Museum noch »in Entwicklung«. Eröffnet wurde am Montag nur der erste Teil im einstigen jüdischen Kindergarten.

Schouwburg Wenn das Museum fertig ist, soll auch der gegenüber gelegene Gedenkort »Hollandsche Schouwburg« dazugehören, von wo aus während der Nazi-Besatzung rund 46.000 niederländische Juden deportiert wurden. Die Schouwburg ist ein Mahnmal, das für Verfolgung und Ermordung steht. Aus dem Kindergarten hingegen konnten rund 600 Kinder vor der Deportation in Sicherheit gebracht werden – immer dann, wenn vor dem Haus die Straßenbahn vorbeifuhr und den Blick von der Schouwburg aus verdeckte.

»Wir errichten dieses Museum an den Orten, wo es geschah«, sagt Emile Schrijver. Anders als andere Holocaust-Museen sei das niederländische »kein dunkles Gebäude mit dunklen Wänden. Der Holocaust geschah ja auch am helllichten Tag«. Passend zu diesem Grundsatz sieht man den hohen Räumen des jüdischen Kindergartens mit ihren gefliesten Böden an, dass hier zuvor eine Schule untergebracht war. Die Einrichtung ist einfach, im Eingangsbereich wird auf schlichten Tafeln die Ermordung von 104.000 niederländischen Juden erklärt sowie die Geschichte der Schouwburg, des Kindergartens und der Bedarf an einem Holocaust-Museum erläutert: »Weil die Überlebenden selbst bald nicht mehr erzählen können«.

Ausstellung Genau an diesem Punkt setzt auch die erste Ausstellung an: »Der Untergang von Abraham Reiss«, heißt die Serie von neun Gemälden, in denen der niederländische Künstler Jeroen Krabbé den Weg seines Großvaters von Amsterdam nach Sobibor nachzeichnet, wo dieser am 9. Juli 1943 ermordet wurde. Der Enkel wurde 1944 geboren und stehe damit für die Suche der Nachkriegsgenerationen, den Ermordeten »einen Platz in ihrem Leben zu geben«, so Kuratorin Annemiek Gringold.

Entstanden sind die Kunstwerke, als Krabbé, inzwischen selbst Großvater, sich mithilfe des Nachlasses seiner Mutter dem Leben und Sterben des Amsterdamer Diamantenschleifers Abraham Reiss widmete. Das Familienarchiv mit Briefen und Fotos liegt in Schaukästen aus. In einem steht auch das berühmte Modell des Vernichtungslagers Sobibor, das der kürzlich verstorbene Überlebende Jules Schelvis geschaffen hat. Genau diese Kombination spiegelt den Ansatz des Museums wider. »Nicht nur Gemälde, sondern auch eine tiefere und persönliche Dimension«, so Annemiek Gringold. »Und dank Jules Schelvis können wir das mit akkuraten Fakten begleiten.«

Entschädigung Für die nächsten Schritte braucht das niederländische Holocaust-Museum vor allem Geld. »Gut zwei Millionen Euro haben wir schon, 19 Millionen brauchen wir noch«, rechnet Direktor Emile Schrijver vor. Da passt es gut, dass der Amsterdamer Stadtrat dieser Tage beschlossen hat, der örtlichen jüdischen Gemeinschaft zehn Millionen Euro zur Verfügung zu stellen – als Entschädigung für Erbpachtforderungen, mit denen man zurückgekehrte Überlebende einst konfrontierte. Für das Holocaust-Museum als einen der anvisierten Empfänger von Teilbeträgen bedeutet das offenbar einen kräftigen Anschub zur entscheidenden Zeit, der den Blick in die Zukunft optimistisch gestaltet.

Für die JCK-Mitarbeiter gibt es dazu aber auch inhaltliche Gründe. Man ist überzeugt vom breiten Ansatz, auch die 30er-Jahre sowie die Zeit nach 1945 miteinzubeziehen, ebenso wie die Geschehnisse nach den Deportationen. »In den Niederlanden hört die Geschichte meistens an der Grenze auf. Wir aber widmen uns auch dem, was im besetzten Polen passierte«, so Kuratorin Gringold. »Wir zeigen die Ermordung der niederländischen Juden in Verbindung mit der europäischen Dimension der Schoa.« In den nächsten Jahren kann man dem Museum beim Wachsen zusehen.

Schweiz

NGO verklagt Schweiz wegen Kauf israelischer Drohnen

Ein Kollektiv aus Genf will mit einer Klage erreichen, dass die Schweiz keine Drohnen aus Israel beschafft

 17.07.2025

London

Geheimbesuch vom Monarchen

Er kam, um ihr persönlich zum Geburtstag zu gratulieren, und blieb eine halbe Stunde: König Charles III. war bei Anita Lasker-Wallfisch zu Gast

von Michael Thaidigsmann  17.07.2025

Auszeit

Mit Schwimmkleid ins Wasser

Wie orthodoxe Frauen im Sommer am Zürichsee eine Auszeit vom Alltag nehmen

von Nicole Dreyfus  17.07.2025

Geburtstag

Einziger jüdischer NASA-Chef: Dan Goldin wird 85

Als er Administrator der Raumfahrtbehörde wurde, wollte er alles »schneller, besser und billiger« hinkriegen. Denn Geldfresser bremsten die NASA

von Imanuel Marcus  17.07.2025

Iran

Esthers Kinder

Wie die älteste Diaspora-Gemeinschaft 2700 Jahre überlebte – und heute erneut um ihre Existenz kämpft

von Stephen Tree  16.07.2025 Aktualisiert

Interreligiöser Dialog

»Das ist Verrat«

Ein Imam aus den Niederlanden nahm an einer Reise muslimischer Geistlicher nach Israel teil - prompt verlor er seinen Job

von Michael Thaidigsmann  15.07.2025

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025