Das unscheinbare Schild an der Straße von Wlodawa nach Chelm in Ostpolen ist leicht zu übersehen. »Sobibor. Gedenkstätte« steht darauf. Der Pfeil weist in den Wald. Nach rund sechs Kilometern geht die Straße in einen holprigen Feldweg über, rechts und links sind nur Wald, Sumpf und Schwärme von Mücken zu sehen. Schließlich tauchen die ersten Häuser auf, dann eine Bahnrampe und ein vom Rost zerfressenes Schild: SOBIBOR. Einst standen diese Rampe und das Schild mitten im Vernichtungslager. Hier ermordeten die Nazis 1942 und 1943 rund 250.000 Juden aus Polen, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, der damaligen Tschechoslowakei und der Sowjetunion.
Schliessung Anfang Mai drohte der Gedenkstätte wegen Geldmangels die Schließung. Zwar hatte das Warschauer Kulturministerium die Gedenkstätte vom Landkreis in Wlodawa übernehmen wollen, dann aber den Termin auf den 1. Januar 2012 verschoben. Für die Übergangszeit hatten weder Polens Kulturminister noch der Landrat von Wlodawa eine Finanzierung vorgesehen. Erst als der Leiter der Gedenkstätte, Marek Bem, in den Medien vor einem internationalen Skandal warnte, fanden die Politiker eine Lösung. Bem fordert allerdings eine Beteiligung Deutschlands an den jährlich anfallenden Kosten und fragt: »Warum müssen eigentlich wir Polen für die Instandhaltung der NS-Vernichtungslager und KZs bezahlen, die die Deutschen in unserem Land errichteten?«
Dass das Vernichtungslager Sobibor einst 60 Hektar groß war, ist kaum zu ahnen, wenn man die wenigen Mahnmale, das kleine Museum, die Gedenkallee und das steinerne Mausoleum mit der Asche der Opfer sieht. Ringsum sind Wald und Sümpfe. An Flucht war damals kaum zu denken. Dennoch wagten einige Häftlinge Mitte Oktober 1943 den Aufstand, töteten zwölf SS-Männer sowie zwei ukrainische Wachleute und flohen in den Wald.
Doch es gelang nur wenigen, sich den Partisanen anzuschließen oder eine polnische Bauernfamilie zu finden, die sie versteckte. Die meisten starben noch im Sumpf oder wurden später an die Deutschen verraten. Nur 47 der 365 Flüchtlinge überlebten. Die Nazis schlossen nach dem Aufstand das Lager, verbrannten die Baracken, zerstörten die Gaskammern und Krematorien und forsteten die 60 Hektar mit jungen Bäumen wieder auf. Was blieb, war die unverdächtig aussehende Bahnrampe mit dem Schild SOBIBOR.
Nur einem kleinen Teil der Täter wurde später der Prozess gemacht, darunter dem Lagerleiter von Sobibor, SS-Obersturmbannführer Franz Stangl. Der zurzeit in München vor Gericht stehende Ukrainer John Demjanjuk soll von März bis September 1943 einer der 90 bis 120 »Trawniki-Männer« in Sobibor gewesen sei. Man nannte sie nach dem SS-Schulungslager, in dem kriegsgefangene Ukrainer, Letten und Litauer zu KZ-Wächtern ausgebildet wurden. Demjanjuk wird Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden vorgeworfen. Der Ukrainer bestreitet, überhaupt jemals in Sobibor gewesen zu sein.
Gedenkkultur Der polnische Staat ließ 1961 ein erstes Mahnmal auf dem Aschefeld im Wald errichten. Doch erst 1993, zum Jahrestag des Aufstands 1943, wurde die Gedenktafel ausgetauscht. Bis dahin gehörte der Holocaust nicht zur öffentlichen Gedenkkultur Polens. Die von den Nazis ermordeten Juden wurden offiziell als »Staatsbürger Polens« betrauert. Die Worte »Jude« oder »jüdisch« fehlten meist auf den Gedenktafeln. Dennoch kommt Polen seit Kriegsende allein für die Kosten der Instandhaltung auf.
Seit 2008 gibt es ein gemeinsames Gedenkprojekt für Sobibor, an dem sich Polen, Israel, die Niederlande und die Slowakei beteiligen. Nicht dabei sind Deutschland und Österreich. Allerdings beteiligen sich an dem Projekt einige deutsche Privatinitiativen. Die Gedenkstätte soll umgestaltet und das Museum modernisiert werden. Ein erster Schritt ist die Anlage der Gedenkallee mit Steinen, jungen Bäumen und Namensplaketten für die Opfer.