Einige Wochen ist es her, da kündigte die britische Regierung an, sie wolle umgerechnet rund 67 Millionen Euro zum Bau einer nationalen Holocaust-Gedenkstätte in London beisteuern. Ein Jahr lang hatte man sich beraten, hatte Experten und Überlebende befragt. Dabei war aufgefallen, dass sich bisher zu viele verschiedene Organisationen um Fördermittel für ein solches Vorhaben bemüht haben. Mit der geplanten Gedenkstätte sollen Forschung und Erinnern gebündelt werden.
Um die Geschichte angemessen zu vermitteln, will man der Gedenkstätte ein pädagogisches Zentrum mit modernster Technologie angliedern. Im ersten Schritt sollen Aussagen noch lebender Zeitzeugen für die Nachwelt festgehalten werden.
Trotz der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen durch die britische Armee und den Sieg der Alliierten vor 70 Jahren dürfe Großbritannien in der Gedenkstätte aber keineswegs triumphal dargestellt werden, sagt der Londoner Historiker David Ceserani, der bei den Konsultationen dabei war.
Alle seien sich bewusst, dass es »absolut notwendig« sei, auch über »negative geschichtliche Elemente« zu reden. Konkret nannte Ceserani den Versuch Großbritanniens, Deutschland zu besänftigen, das widerwillige Reagieren auf die Flüchtlingskrise, antisemitische und faschistische Ausartungen im eigenen Land, die Flüchtlingsinternierungen, die Einreiseverweigerung für geflohene Juden nach Palästina sowie die schwache Reaktion auf die Meldungen über den Massenmord an den europäischen Juden. »Das Erziehungsprogramm soll junge Leute dazu anregen, über die Ignoranz des damaligen Großbritannien gegenüber jüdischem Leid nachzudenken«, sagt Ceserani.
Zustimmung In Shalvata, dem einzigen Zentrum in Großbritannien, in dem Schoa-Überlebende betreut werden, begrüßt man die Ankündigung, eine Holocaust-Gedenkstätte zu errichten. Der in Köln aufgewachsene Kurt Marx (89), der mit dem Kindertransport nach England flüchtete, findet, die Gedenkstätte müsse zeigen, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig seien. »Viele dachten am Anfang, Hitler sei nur ein Irrer, der nicht lange bleiben würde. Aber das tat er dann doch, obwohl sich Deutschland als zivilisierte Gesellschaft verstand«, sagt Marx.
Er sei Großbritannien für seine Rettung dankbar. Aber er erinnert sich, dass viele Briten anfangs keinen Unterschied machten zwischen Nazis und ihm, einem deutschen Juden. Auch heute noch, sagt er, dürfe er im Shalvata-Zentrum nicht Deutsch sprechen, denn damit hätten manche ein Problem.
Vergessen Die gebürtige Belgierin Sarah Espinoza, die sich vor Ausbruch des Krieges mit dem letzten Boot über den Ärmelkanal nach England rettete, erzählt, wie sie vergangenes Jahr bei einem Belgienbesuch in einem Café ein Schild sah, auf dem stand: »Hunde und Juden unerwünscht«. Antisemitismus grassiere also weiterhin, sagt sie. »Wenn man es nicht in die Köpfe der Menschen trommelt, wird die Schoa vergessen und sich eines Tages wiederholen«, befürchtet die 90-Jährige.
Chaim Olmer (87), Überlebender zahlreicher Arbeits- und Konzentrationslager, fordert, dass im neuen Zentrum der Holocaust in seiner ganzen Komplexität dargestellt wird. Die Familie seiner Frau wurde bei der Flucht nach Eretz Israel von den Briten festgenommen und in Mauritius ins Gefängnis gesteckt. »Wichtig ist, dass der Holocaust nicht mit anderen Genoziden in einen Topf geworfen wird, denn er war ein einzigartiges Kapitel der Menschheitsgeschichte«, betont Olmer.
Wo genau die Gedenkstätte entstehen wird, steht noch nicht fest. Derzeit werden drei mögliche Standorte genannt: an der Tower Bridge, neben der Tate Britain Gallery und vor dem Imperial War Museum. Damit wird auch ein weiterer Punkt der Konsultationen berücksichtigt: Viele Überlebende sind mit dem Holocaustdenkmal, das 1983 im Hyde Park aufgestellt wurde, unzufrieden, denn es ist sehr klein und liegt weit ab vom Stadtzentrum.
Sklavenhandel Eine andere Interessengruppe würde sich über ein Denkmal im Hyde Park freuen. Seit 2002 führt die ehemalige Geschichtslehrerin Oku Ekpenyon (69) eine Kampagne für die Errichtung eines Denkmals im Hyde Park, das an die Opfer des von Großbritannien mitgetragenen Sklavenhandels erinnern soll. Im Jahr 2008 erhielt Ekpenyon die Zusage dafür, doch das Projekt kommt nicht voran, weil es an Geld fehlt.
Nachdem die Regierung Anfang des Jahres angekündigt hatte, eine Holocaust-Gedenkstätte mitzufinanzieren, schrieb Ekpenyon einen Brief an Premierminister David Cameron und bat um staatliche Hilfe: »Die Regierung behauptet, sie nehme Anteil am menschlichen Leid der Juden im Holocaust. Mit einem Bruchteil der für das Holocaustdenkmal vorgesehenen Summe können Sie sicherstellen, dass auch über die Zeit der Versklavung nachgedacht wird und darüber, welchen Preis Menschen aus Afrika für die Entwicklung dieser Nation gezahlt haben.«
Der Star-Wars-Schauspieler Hugh Quarshie, einer der Schirmherren der Anti-Sklaverei-Kampagne, behauptet, solche Denkmale seien essenziell, um zu zeigen, dass der Versuch menschlicher Ausrottung der Inbegriff des absolut Bösen sei. Der Erinnerung an den Holocaust, findet er, werde aber durch Zeitzeugen, Dokumente, ja sogar Filme besser Rechnung getragen.
»Wir können nur schätzen, wie viele Millionen Menschen während des Sklavenhandels gepeinigt wurden und starben. Es war Brutalität unter der Order einer Nation, die vorgab, eine der am höchsten entwickelten der Erde zu sein – ohne Entschuldigung oder Reparation. Um dies nicht zu vergessen, sind Denkmale auch an diesen Horror sehr wichtig«, argumentiert Quarshie.
Im Shalvata-Zentrum versteht der 93-jährige Freddy Knoller, Auschwitz-Überlebender und gebürtiger Wiener, die Angst des Vergessens – vor allem, wenn die Überlebenden eines Tages nicht mehr da sein werden. Die geplante Holocaust-Gedenkstätte will eine Ermahnung zur Demokratie werden, denn etwas wie die Schoa könne nur in einer Diktatur entstehen. Freddy Knollers Motto für die Gedenkstätte ist weitaus menschlicher: »Lasst uns einander lieben, nicht ermorden«, fordert der alte Mann, der, wie er sagt, sein ganzes Leben lang Optimist geblieben sei und niemals aufgegeben habe.