Fünfeinhalb Jahre sind vergangen, seit der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman an einem Sonntagabend tot im Badezimmer seiner Wohnung in Buenos Aires gefunden wurde. Die Todesursache: ein Kopfschuss. Doch wer ihn am 18. Januar 2015 abgab, ob Nisman selbst oder eine andere Person, das liegt bis heute im Dunkeln.
Mord oder Selbstmord, das hat Argentiniens Justiz ebenso wenig erhellen können wie das Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA, zu dem Nisman ermittelte und das sich am vergangenen Samstag zum 26. Mal jährte.
WIRBEL Am Fehlen substanzieller Ermittlungsfortschritte zu dem Anschlag, der 85 Todesopfer forderte, und zu dem gewaltsamen Tod des Sonderermittlers liegt es wohl, dass sensationell aufgemachte Medienberichte zuweilen großen Wirbel auslösen.
Kürzlich war dies der Fall, als das israelische Fernsehmagazin Uvda, das die gebürtige Argentinierin Ilana Dayan moderiert, einen ehemaligen Mossad-Agenten namens Uzi Shaya zu Gast hatte. Er erzählte der Journalistin, er habe Alberto Nisman wenige Tage vor dessen Tod in Europa getroffen und ihm Dokumente übergeben, die die damalige argentinische Präsidentin Cristina Kirchner schwer belasteten.
Die Dokumente sollen Ex-Präsidentin Cristina Kirchner schwer belasten.
Nisman war im Januar 2015 von einer Europareise überstürzt zurückgekehrt und hatte Klage gegen die Präsidentin eingereicht. Er warf ihr einen »kriminellen Plan« vor: Sie habe durch eine Abmachung mit dem Iran über eine Zusammenarbeit bei den Ermittlungen zur Verschleierung des AMIA-Attentats beitragen wollen.
Der Pakt war allerdings schon zwei Jahre vorher unterzeichnet worden, und die argentinische Öffentlichkeit fragte sich, warum Nisman – mitten in den Sommerferien – so plötzlich und eilig handelte.
Tod Wenige Tage nach der Präsentation seiner Klage und einen Tag, bevor er einem Parlamentsausschuss Rede und Antwort stehen sollte, starb der Staatsanwalt.
Dass das Fernsehinterview mit Uzi Shaya in argentinischen Medien enormen Widerhall fand, lag daran, dass der frühere Agent offenbarte, die Nisman übergebenen Dokumente hätten die Existenz von Bankkonten der Familie Kirchner bewiesen, auf die Gelder aus dem Iran flossen. Shaya erwähnte ein Konto im Iran und weitere auf den Seychellen, den Kaiman-Inseln und in Zypern.
Gegen Cristina Kirchner, heute Vize-Präsidentin, und ihre Kinder laufen in Argentinien mehrere Korruptionsverfahren. Für die Kirchner-kritischen Medien ist das große Privatvermögen der linksperonistischen Politikerfamilie seit Jahren ein Thema.
Kein Wunder, dass viele Medien Shayas Aussagen im israelischen Fernsehen begierig aufgriffen: angebliche ausländische Kirchner-Konten mit Millionenbeträgen und eine Verbindung zum Iran, die Nismans These eines kriminellen Deals zu bestätigen schien – eine explosive Mischung.
Zudem schien die Übergabe der brisanten Papiere an Nisman eine mögliche Erklärung dafür zu liefern, warum der Ermittler im Januar 2015 so überstürzt nach Buenos Aires zurückgekehrt war.
Hedgefonds Allerdings ist die Gemengelage noch komplizierter: Uzi Shaya stand 2015 nicht mehr im Dienst des Mossad, sondern war nach eigenen Worten für den amerikanischen Hedgefonds Elliott und dessen Chef Paul Singer tätig. Elliott und andere sogenannte Geierfonds befanden sich damals in einem erbitterten Schuldenstreit mit der argentinischen Regierung. Sie forderten Milliardenbeträge, die Kirchners Regierung nicht zahlen wollte.
Gegenüber dem argentinisch-jüdischen Sender Radio Jai sagte Uvda-Journalistin Dayan, Nismans »verzweifelte« Suche nach Beweisen gegen Kirchner sei 2015 wohl »der fruchtbare Boden« dafür gewesen, dass Shaya ihm die Dokumente übergab.
Falls Shayas Aussagen wahr sind, scheint es also darum gegangen zu sein, Nisman für die Zwecke der Hedgefonds einzuspannen.
Gegen Cristina Kirchner, heute Vize-Präsidentin, und ihre Kinder laufen in Argentinien mehrere Korruptionsverfahren.
»Dieser Agent hat vor der Kamera zugegeben, dass sein Ziel war, Druck auf Cristina Kirchner auszuüben, damit ihre Regierung die Hedgefonds ausbezahlt. Das war Nötigung«, meint der argentinische Journalist Horacio Lutzky, der mehrere Bücher über das AMIA-Attentat geschrieben hat.
ZWEIFEL Was Shayas Aussagen zu Kirchners Konten im Ausland angeht, bezweifelt Lutzky, dass der Israeli die Wahrheit gesagt hat: »Wenn das wirklich relevante Informationen gewesen wären, dann hätte Nisman sie doch in seiner Klageschrift gegen Cristina Kirchner erwähnt, was er aber nicht getan hat.«
Ähnlich skeptisch sehen auch andere Journalisten den Auftritt Shayas im israelischen Fernsehen. Einige sparen nicht mit Kritik an Ilana Dayan. »Sie hat die Dokumente, die Kirchner belasten, vor der Kamera nicht gezeigt«, bemängelt Carlos Gurovich, gebürtiger Argentinier, der das spanischsprachige Programm des Auslandsfernsehsenders i24NEWS in Tel Aviv moderiert.
»Wenn Dayan tatsächlich Beweise für die Existenz von Konten Kirchners im Ausland hat, dann sollte sie sie der argentinischen Justiz zur Verfügung stellen«, sagte Gurovich der Jüdischen Allgemeinen. Und fügte hinzu: »Ich bezweifle, dass Uzi Shaya Alberto Nisman wirklich getroffen hat.«
Die argentinische Justiz fordert die Herausgabe der Dokumente.
Der Radiomoderator Pablo Duggan kritisierte seine Kollegin Ilana Dayan während eines Live-Gesprächs im argentinischen Sender Radio 10 unverblümt: »Du hast Shayas Aussagen präsentiert, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.«
Duggan, der ein Buch über den Tod Nismans geschrieben hat, äußerte ebenfalls Zweifel am Treffen zwischen Shaya und Nisman. Dayan konterte, sie glaube dem Bericht Uzi Shayas über die Begegnung mit dem Staatsanwalt. Allerdings hat die Journalistin mehrfach eingeräumt, sie könne nicht sagen, ob die ihr vorliegenden Dokumente echt seien.
Mossad Unklar ist, warum Ilana Dayan den früheren Mossad-Mann in ihre Sendung eingeladen hat. »Spy games sind gut für die Einschaltquoten«, mutmaßt Journalist Gurovich. Allerdings trügen sie nicht dazu bei, der Wahrheit über den AMIA-Anschlag und den Tod Nismans näherzukommen.
Argentiniens Justiz jedenfalls hat Dayan und Shaya aufgefordert, in dem Verfahren um eine angebliche Vertuschung des AMIA-Attentats auszusagen und die Kirchner belastenden Dokumente vorzulegen.