Etliche Labour-Abgeordnete sowie jüdische Gruppen und Politiker haben die Wiederaufnahme des ehemaligen Labour-Chefs Jeremy Corbyn als Parteimitglied scharf kritisiert.
Zuvor hatte ein Parteiausschuss entschieden, den ehemaligen Vorsitzenden Jeremy Corbyn nach der vorübergehenden Suspendierung seiner Mitgliedschaft bei Labour wieder aufzunehmen. Corbyn war Ende Oktober suspendiert und aus der Unterhausfraktion ausgeschlossen worden, nachdem er die Ergebnisse einer unabhängigen Untersuchung zum Antisemitismus während seiner Amtszeit als übertrieben bezeichnet hatte.
Die frühere Labour-Abgeordnete Louise Ellman sagte in der BBC-Sendung »Newsnight«, die Entscheidung sei »ein Schritt zurück«. Sie forderte den amtierenden Parteichef Keir Starmer auf, zumindest Corbyns Rückkehr in die Parlamentsfraktion zu verhindern. Dieser Forderung kamen Starmer und der parlamentarische Geschäftsführer (Chief Whip) Nick Brown am Mittwoch nach.
Corbyn vertritt seit 1983 den Londoner Wahlkreis Islington. Er bleibt aber trotz seines Ausschlusses aus der Labour-Fraktion weiter Abgeordneter im Unterhaus. In einem Tweet nannte Corbyns Sohn Tommy Starmers Entscheidung eine »absolute Schande«.
Die Präsidentin des jüdischen Dachverbands Board of Deputies of British Jews, Marie van der Zyl, dagegen begrüßte sie. Den Beschluss der Labour-Schiedskommission zur Aufhebung der Suspendierung bezeichnete sie dagegen als »absolute Augenwischerei«. Corbyns Rückkehr in die Partei sei von einem Gremium ermöglicht worden, das eindeutig »politisiert« und mit Anhängern des früheren Parteichefs besetzt sei. Die Suspendierung sei absolut gerechtfertigt gewesen, so van der Zyl.
ERKLÄRUNG Die Geschäftsführerin des Holocaust Educational Trusts, Karen Pollock, schrieb auf Twitter: »Was für eine Botschaft wird hier gesendet? Null Toleranz heißt entweder null Toleranz oder der Satz ist bedeutungslos.«
Auch auf der anderen Seite des Atlantiks gab es Entrüstung. Jonathan Greenblatt, Geschäftsführer der Anti-Defamation League, nannte den Entscheid der Schiedskommission »ungeheuerlich«. Man stehe Seite an Seite mit der jüdischen Gemeinschaft Großbritanniens, twitter Greenblatt.
Das Jewish Labour Movement, eine Gruppierung jüdischer Labour-Mitglieder, erklärte: »Nachdem unter seiner Führung der Antisemitismus nicht bekämpft wurde, wie das auch der EHRC-Bericht deutlich macht, sollte eigentlich jeder vernünftigte und unparteiische Betrachter Jeremy Corbyns Erklärung von heute als unaufrichtig und völlig unzureichend ansehen.«
Der 71-jährige Corbyn hatte am Dienstag kurz vor der Sitzung der Schiedskommission auf seiner Facebook-Seite eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin heißt es: »Um das klar zu machen, Sorgen über Antisemitismus sind weder ›übertrieben‹ noch ›überspitzt‹.« Er habe nur mit seiner Reaktion auf den EHRC-Bericht lediglich deutlich machen wollen, dass die große Mehrheit der Labour-Mitglieder überzeugt antirassistisch sei und Antisemitismus entschieden ablehne.
Corbyn war Labour-Chef zwischen 2015 und April 2020. Unter seiner Führung erlitt die Partei bei der Parlamentswahl im vergangenen Dezember die schwerste Niederlage seit 1935.
»SCHMERZHAFTER TAG« Unterdessen kündigte Parteichef Keir Starmer an, im neuen Jahr einen unabhängigen Beschwerdeprozess einzurichten. Eine Untersuchung hatte der Partei zuvor bescheinigt, sie habe Diskriminierung und Schikanen gegen Juden jahrelang zugelassen. Er wolle den jüngst veröffentlichten Empfehlungen der Gleichsstellungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) voll und ganz folgen, schrieb Starmer am Dienstagabend auf Twitter. »Das muss heißen, im neuen Jahr so schnell wie möglich einen unabhängigen Beschwerdeprozess zu etablieren.«
In einem Tweet am Dienstag ging Starmer auch auf die Aufhebung der Suspendierung seines Amtsvorgängers ein. »Ich weiß, das dies ein weiterer schmerzhafter Tag für die jüdische Gemeinschaft und jene Labour-Mitglieder war, die so hart gegen den Antisemitismus ankämpfen. Ich bin mir der Verletzungen und der Traumata bewusst, die Menschen dabei verspürt haben.«
Am Mittwoch legte Starmer nach. Ebenfalls auf Twitter schrieb er, Corbyns Reaktion auf den EHRC-Bericht habe der Arbeit der Parteiführung und ihrem Bemühen geschadet, den Antisemitismus zurückzudrängen und verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. (mit dpa)