Herr Syversen, Norwegen hat jüngst einen Aktionsplan gegen Antisemitismus beschlossen. Was hat die politisch Verantwortlichen zu diesem Schritt bewogen?
Die Initiative geht bereits auf das Jahr 2010 zurück. Man brauchte aber drei Anläufe, bis sie 2015 vom Parlament endgültig gebilligt wurde. Dahinter stand ein breites und parteiübergreifendes Bündnis aus Volksvertretern, die die Notwendigkeit erkannt hatten, dass beim Kampf gegen den Judenhass auch in unserem Land mehr geschehen muss als bisher.
Welche antisemitischen Vorkommnisse gab es bis dato in Norwegen?
Bereits 2006 gab es einen Brandanschlag auf die Synagoge in Trondheim. Aber vor allem der Terror gegen jüdische Einrichtungen beispielsweise in Brüssel und Kopenhagen führte uns allen dann die Brisanz des Themas vor Augen. Auch während der Demonstrationen 2014 gegen den Krieg in Gaza gab es Übergriffe vor allem seitens einiger unserer Bürger mit Migrationshintergrund. Wir mussten feststellen, dass viele von ihnen den Judenhass ihrer Herkunftsländer mit im Gepäck hatten. Der Politik und vielen gesellschaftlichen Gruppen wurde dadurch bewusst: Der Antisemitismus ist in Norwegen virulenter, als wir dachten.
Antisemitismus äußert sich nicht immer nur durch Terroranschläge und Gewalt. Wie sieht die Situation für Juden in Norwegen konkret aus?
Genaue Zahlen für das ganze Land gibt es leider nicht. Aber zahlreiche Studien belegen einen europaweiten Anstieg von antisemitischen Einstellungen. Das gilt wohl auch für Norwegen, wo die jüdische Gemeinschaft gerade einmal rund 1500 Personen zählt. Bezogen auf Oslo existiert aber eine Umfrage aus dem Jahr 2011, die Erschreckendes zutage brachte: Rund ein Drittel aller jüdischen Schüler der Stadt wird zwei- bis dreimal im Monat mit judenfeindlichen Vorfällen konfrontiert. Das wollen wir nicht länger hinnehmen. Auch deshalb kam der Aktionsplan zustande.
Was genau beinhaltet dieser Aktionsplan?
Erst einmal war es uns wichtig festzustellen, dass das Phänomen Antisemitismus eine andere Herangehensweise benötigt und nicht durch bereits bestehende Gesetze gegen die Diskriminierung von Minderheiten abgedeckt werden kann. Daraus wurden elf Maßnahmen abgeleitet, die sich gezielt gegen antisemitische Einstellungen richten.
Welche Maßnahmen sind das?
Wir wollen auf drei Ebenen aktiv werden. Erstens im Bereich Erziehung durch vermehrte Anstrengungen in der Bildungsarbeit. Es soll im Unterricht besser über Juden und das Judentum informiert werden. Wir haben deutliche Defizite entdeckt: Unsere Schulbücher vermitteln eher Stereotype von Juden. Das wollen wir korrigieren. Zweitens geht es darum, dass die Polizei antisemitische Straftaten als solche auch erkennt und entsprechend aktiv wird. Und drittens wollen wir intensiver mit den jüdischen Gemeinden zusammenarbeiten und jüdisches Leben in Norwegen besser fördern. Wir sehen in der Erziehung und Aufklärung den eigentlichen Schlüssel im Kampf gegen den Antisemitismus.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie so etwas funktionieren soll?
Eine Maßnahme sieht vor, dass wir sogenannte jüdische Pfadfinder in Schulen oder Jugendklubs entsenden. Weil es kaum Juden in Norwegen gibt und deshalb die Wahrscheinlichkeit, einen kennenzulernen, sehr gering ist, sollen sie dem Judentum ein Gesicht geben und helfen, bestehende Vorurteile abzubauen.
Judenhass artikuliert sich nicht immer offen, sondern häufig auch in Codes oder in Form sogenannter Israelkritik. Wie wollen Sie gegen diese Spielarten des sekundären Antisemitismus vorgehen?
Das ist in der Tat sehr schwierig, weil wir uns da oft in einer Grauzone bewegen. Wir wollen klarmachen, dass Kritik an der israelischen Regierung und Politik absolut legitim ist, aber das Infragestellen der Existenz des jüdischen Staates bereits eine Form des Antisemitismus darstellt. Wir wissen, dass die Medien in Norwegen über Israel oft sehr negativ berichten. Vielleicht gelingt es uns so, dass sie in Zukunft eine Spur weniger einseitig sein werden.
Mit dem Parlamentarier der Christlichen Volkspartei (Kristelig Folkeparti) in Norwegen sprach Ralf Balke.