In einem Glaskasten hängen ein gestreifter Anzug und ein gelber Stern, auf dem in schwarzen Buchstaben »Jood« geschrieben steht. Vor mehr als 60 Jahren wurden sie von Leon Greenman getragen. Er durchlitt in dem hauchdünnen Stoffanzug die Hölle von Auschwitz. Zuvor hatte er in den von Nazi-Deutschland okkupierten Niederlanden gelebt. Dort wurde er mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn Barney von den Deutschen verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Seine Familie kam um, Greenman selbst überlebte wie durch ein Wunder. Seitdem hat er es sich zur Aufgabe gemacht, über seine Erlebnisse in Auschwitz zu sprechen.
Sowohl Anzug wie auch der gelbe Stern sind eindrucksvolle Exponate der neuen Holocaust-Galerie des Jüdischen Museums in London, das nach einer umfangreichen Erweiterung kürzlich wieder seine Pforten öffnete. Im trendigen Londoner Stadtteil Camden gelegen, will das Museum seinen Besuchern jüdische Geschichte und Kultur nahebringen. »Das Thema kulturelle Identität und was es heißt, britisch zu sein, wurden nie so heftig diskutiert wie heute«, sagt Museumsdirektor Rickie Burman. »In unserem neuen Jüdischen Museum wollen wir diese Themen im Kontext einer der ältesten Immigranten-Gemeinden ausloten.«
Mikwe Gleich am Eingang erwartet den Besucher etwas Besonderes: eine mittelalterliche Mikwe aus dem 13. Jahrhundert. Das Tauchbecken wurde vor neun Jahren bei Bauarbeiten in der Londoner Innenstadt gefunden und wird zum ersten Mal der Öffentlichkeit gezeigt. »Wir sind sehr stolz auf dieses Exponat. Es ist Geschichte zum Anfassen«, freut sich Dina Wosner, die beim Jewish Museum für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.
Im ersten Stock ist eine Horde lärmender Schüler eifrig dabei, sich die Zehn Gebote auf einer riesigen Torarolle zu Gemüte zu führen. Einige Kinder haben sich in einer Ecke des Raums zum Schabbat-Erlebnis um einen kleinen Tisch versammelt: Dort werden Besuchern anschaulich Rituale des wöchentlichen Feiertags erklärt. Auf dem Tisch befinden sich die mit einem Tuch bedeckten Challot, daneben Kidduschbecher und Schabbatkerzen. Die dazu passende Geräuschkulisse kommt vom Tonband.
kosten Ermöglicht wurde der elf Millionen Euro teure Umbau durch Unterstützung des britischen Heritage Lottery Funds in Höhe von 4,7 Millionen Euro. Die Bauarbeiten begannen im Januar 2008. Das 1932 gegründete Jewish Museum wurde 1995 mit dem Museum of Jewish Life in London zusammengelegt, das sich vor allem der Geschichte der jüdischen Zuwanderer im Londoner Osten widmete. Viele Jahre existierte das Jüdische Museum praktisch an zwei Orten, und es bestand schon lange der Wunsch, die beiden Häuser zusammenzulegen. Dank der umfangreichen Erweiterungen wurde dies jetzt möglich.
Das Museum entführt seine Besucher in die Welt des britischen Judentums von den ersten Einwanderern, die mit den Normannen 1066 aus Frankreich kamen, bis zum heutigen Tag. Dabei werden immer wieder Einzelschicksale hervorgehoben, die die Geschichte der jüdischen Gemeinde Großbritanniens anschaulich machen.
Das Museum besteht aus vier Abteilungen, die sich unter anderem den Themen Immigration, jüdische Feste und Holocaust widmen. In höchst informativen und lebendigen Displays mit vielen Artefakten, Fotos, Dokumenten und Filmen wird dem Besucher das Judentum nähergebracht. Zu den eindrucksvollsten Bestandteilen gehört der Nachbau einer jüdischen Schneiderei im Londoner East End, wo sich viele Einwanderer niederließen. Beeindruckend sind auch der italienische Toraschrein aus dem 17. Jahrhundert und der älteste Chanukka-Leuchter Englands. Die Sammlung zeremonieller Artefakte des Museums gehört zu den schönsten der Welt.
zusatzprogramm Wer nach dem Bildungserlebnis hungrig geworden ist, kann ins koschere Café einkehren und sich anschließend im Museumsshop mit Büchern, Geschenkartikeln oder Judaica eindecken. Außerdem erwartet die Besucher ein umfangreiches Zusatzprogramm an Ausstellungen, Vorträgen, Musikveranstaltungen, Lesungen und Filmvorführungen. Das Jewish Museum bietet, wenn man so will, ein ganzheitliches jüdisches Erlebnis. Einziger Kritikpunkt: Das Haus ist von außen sehr unscheinbar und nicht leicht zu finden, denn Hinweisschilder fehlen. Schade, sollte so ein Kleinod doch möglichst viele Besucher anlocken.