Ansturm auf Bergbahnen, Lebensmittelgeschäfte und Ferienwohnungen, bis auf den letzten Platz gefüllte Synagogen sowie Hotellobbys voller Großfamilien – das sind Szenarien, die es in diesem Sommer in der Schweiz wohl so nicht geben wird.
Weil auch sechs Wochen vor Saisonbeginn noch nicht klar ist, ob die wegen Corona geschlossenen Grenzen bald geöffnet werden und wann die Fluggesellschaften ihren Betrieb wiederaufnehmen, setzt der Schweizer Tourismus derzeit kaum auf ausländische Gäste. »Wir rechnen damit, dass der Tourismus in der Schweiz in Etappen wieder in Gang kommt«, sagt Luzi Bürkli, Kommunikationsleiter bei Graubünden Tourismus. Die Region im Südosten des Landes mit den bekannten Urlaubsorten St. Moritz und Davos gilt als »Ferienkanton«.
SOMMERFERIEN In der ersten Etappe, den Sommerferien, rechne man kaum mit Gästen aus dem Ausland, so Bürkli. Das betrifft natürlich auch die jüdischen Touristen, vor allem aus Israel, den USA oder England. »Davos setzt in diesem Jahr sicherheitshalber nicht auf sie.« Und auch für das bei Juden ebenfalls beliebte Arosa könne man derzeit noch keine Prognosen abgeben.
Präsenz zeigen will in Davos aber auf jeden Fall der Zürcher Rafael Mosbacher. Er ist seit Jahren die treibende Kraft hinter dem jüdischen Tourismus im ehemaligen Lungenkurort. Aber auch Mosbacher rechnet in diesem Sommer nicht mit einer großen jüdischen Präsenz. Vermutlich werden, wie in jedem Jahr, zahlreiche Gäste aus den orthodoxen Gemeinden Zürichs sowie andere jüdische Inlandstouristen nach Davos kommen, doch würden sie nur einen kleinen Teil des jüdischen Tourismus ausmachen.
Sobald die Schweizer Regierung es erlaube, will Mosbacher seine Betstube und auch die Mikwe auf jeden Fall wieder öffnen. »Jeder ist herzlich willkommen.«
Ähnliches gilt auch für das koschere Hotel in St. Moritz, das der englische Caterer Arieh Wagner betreibt, allerdings als eine Art Nebenangebot des Fünf-Sterne-Hotels Kempinski. Dieses, so Wagner, werde auf jeden Fall Anfang Juli wieder öffnen. Bis dahin hofft er zu wissen, welche jüdischen Gäste diesen Sommer nach Graubünden kommen. »Wir sind kurzfristig flexibel, da wir koscheres Essen jederzeit in Zürich bestellen können.« Doch auch Wagner rechnet in diesem Jahr nicht mit vielen Gästen.
BROSCHÜREN Eine gewisse Unsicherheit besteht ebenfalls beim Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG). Die jüdische Dachorganisation des Landes engagierte sich im vergangenen Jahr stark im Dialog zwischen jüdischen Gästen, Einheimischen und Angestellten in der Tourismusbranche. An Orten, an denen sich viele Menschen begegnen, versuchten Freiwillige, Verständnis für die Wünsche der orthodoxen Gäste zu wecken, und verteilten Broschüren. »Es ist geplant, diese Kampagne in diesem Jahr auf St. Moritz auszuweiten«, sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner.
Ob es tatsächlich dazu kommt, werde sich zwar erst im Juni herausstellen, doch sei das Aufklärungsprojekt für dieses Jahr noch nicht abgeschrieben. »Wir haben drei Szenarien erarbeitet.« Im optimistischen Fall gehe man davon aus, dass kurzfristig die Grenzen geöffnet werden und auch die Fluggesellschaften wieder fliegen. »Dann können wir die Kampagne sehr schnell hochfahren.« Die Freiwilligen stünden bereit, man habe bereits Unterkünfte für sie reserviert.
Würde nur ein Teil der Touristen kommen, dann könne man die Kampagne auch mit weniger Aufwand durchführen, sagt Jonathan Kreutner. Und wenn die ausländischen Gäste ganz ausbleiben, dann verschiebe man eben alles aufs nächste Jahr.
Dann, so hofft nicht nur Jonathan Kreutner, werde gewiss alles ganz anders ablaufen als in diesem Jahr.