USA

Eine Sukka für alle

Der Union Square ist zwar nur der zweitschönste Platz in Manhattan (der schönste Platz ist der Washington Square), aber er hielt am Sonntag und Montag eine ganz besondere Attraktion für den Flaneur bereit: ein Dutzend Laubhütten. Gebaut wurden sie von Architekten aus New York und Kalifornien, Idaho und Großbritannien – auch ein Objekt aus Berlin fand der Besucher unter den ausgestellten Kunstwerken. Jawohl, Kunstwerken! Eine Jury aus bekannten Architekten, Designern und Kunstkritikern hatte zuvor aus zahlreichen Ent- würfen zwölf Laubhütten ausgewählt, die für zwei Tage auf dem Union Square stehen durften.

Jede dieser Hütten ist nämlich ein einmaliges, auf seine ganz eigene Weise großartiges, vor allem aber auch: vergängliches Artefakt. Und weil wir hier in Amerika sind, wird mit dieser Laubhüttenversammlung auf dem Union Square darum geworben, für einen edlen Zweck zu spenden. Wem das Geld zugute kommen soll? Den Obdachlosen.

Halacha All diese Laubhütten sind koscher, sie wurden nach rabbinischer Vorschrift gebaut. Also: Jede Sukka hat mindestens zwei Wände, die eine gewisse Größe nicht unterschreiten dürfen. Die Wände können fest und aus jedem beliebigen Stoff sein. Das Dach der Laubhütte – hebräisch: S’chach – muss aus organischem Material bestehen, und es darf nicht zu dicht sein. Man muss die Sterne hindurchsehen können.

Auf dem Union Square in New York begreift man, dass diese halachischen Regeln – richtig verstanden – so etwas wie ein Genre sind, eine ästhetische Form. Erst in der resoluten Beschränkung lernt der kreative Geist, frei zu sein. So wie der Sonettdichter sich einer Handvoll strenger Regeln gegenübersieht (das Sonett reimt sich nach einem sehr komplizierten Schema, nach 14 Zeilen ist unwiderruflich Schluss), so sieht sich der Laubhüttenarchitekt mit strikten Bauvorschriften konfrontiert. Aber welche Vielfalt man aus der Beschränkung hervorzaubern kann!

IKEA Quadratisch und praktisch ist die Laubhütte von Peter Sagar, ein kompaktes Holzhäuschen mit integriertem Tisch und Stuhl – von ferne denkt man glatt an ein Fertigbaumodell von Ikea. (Im Katalog fände man es wahrscheinlich unter irgendeinem nordischen Namen – etwa »Sukka: Lars«.) Fantasievoller ist der Kokon von Volkan Anakoglu, ein auf dem Boden liegendes ovales Rattangeflecht, in dem man die Feiertage gepflegt im Liegen verbringen könnte, während man abwechselnd »Om« und »Schalom« vor sich hinmurmelt.

Sehr technisch wirkt die Sukka von Matter Practice aus Brooklyn, die aus einem einzigen Metallfaden besteht, der vielfach in sich selbst verflochten und versponnen wurde. Sozial engagiert dann die Schnorrer-Laubhütte von Ronald Rael und Virginia San Fratello: Sie wurde aus Pappschildern zusammengefügt, wie Bettler sie in Amerika vor sich auf die Straße stellen, um eine milde Gabe zu erbitten.

Und endlich: die »Mutter aller Laubhütten« (wie Saddam Hussein zweifellos gesagt hätte). Ein minimalistisches Ding aus Plexiglaswänden von Kyle May und Scott Abrahams; über dem Ganzen liegt als S’chach ein dicker Baumstamm. Das ist sozusagen die Sukka an sich, die platonische Idee der Laubhütte – jedenfalls für Leute aus dem Wilden Westen. Der deutsche Beitrag – er stammt von Matthias Karch aus Berlin – sieht dagegen wie eine große schräge Ananas aus. Tritt man näher, erkennt man, dass diese Ananas aus lauter Einzelteilen besteht, die wie hölzerne Bumerangs aussehen. Laut Katalog handelt es sich um Universalknoten, die von dem deutsch-jüdischen Ingenieur Konrad Wachsmann erfunden wurden.

Sushi Nach kurzer Zeit fing ich an, darüber nachzudenken, welche Mahlzeit ich wohl in welcher Laubhütte zu mir nehmen würde. In der deutschen Sukka ganz gewiss: exotische Früchte. In der Schnorrer-Laubhütte, die soziales Gewissen anmahnt: gebackene Bohnen in Tomatensauce, aus der Blechdose gelöffelt. In dem meditativen Kokon: Trauben, Käse und Wein vom Golan, im Liegen gebechert wie weiland die alten Römer. Und in der Mutter aller Laubhütten ginge nur und ausschließlich eines: koscheres Sushi.

Leider wurden die Hütten am Union Square bis auf eine schon nach zwei Tagen wieder abgebaut. Das Ganze ist nämlich ein Wettbewerb, quasi nach dem Motto: Manhattan sucht die Super-Sukka. Die Bevölkerung hat per Online-Abstimmung die eine Laubhütte ausgesucht, die sie für die gelungenste hält: Es ist die »Fractured Bubble« (Gebrochene Blase) der New Yorker Architekten Henry Grosman und Babak Bryan – Trommelwirbel und Tusch.

Die Fractured Bubble wird nun die offizielle Laubhütte der Stadt sein und darf bis 2. Oktober stehen bleiben. Wahrscheinlich wird Bürgermeister Michael Bloomberg dort besonders erlauchte Gäste empfangen. Wir werden, wenn die Zeit gekommen ist, über die Speisenfolge berichten.

www.sukkahcity.com
http://fracturedbubble.com

Porträt

Klang des Lebens

Sie wurde gehörlos geboren und musste lernen, sich in der Welt der Hörenden zurechtzufinden. Darüber schrieb sie ein Buch, das zum Bestseller wurde. Eine Begegnung mit Fiona Bollag

von Nicole Dreyfus  15.03.2025

Brüssel

Früherer EJC-Chef Kantor von EU-Sanktionsliste gestrichen

Die Streichung des russisch-britischen Geschäftsmanns erfolgte offenbar auf Druck der ungarischen Regierung

 14.03.2025

Dänemark

Jüdin in Kopenhagen attackiert

Die Angreifer beschimpften sie als »zionistisches Stück Scheiße« und würgten ihr Opfer

 14.03.2025

Irak

Bericht: Israelisch-russische Geisel Elizabeth Tsurkov möglicherweise im Iran

Nachdem die USA im Fall der entführten Elizabeth Tsurkov den Druck auf den Irak erhöhen, heißt es, die Geisel wurde in den Iran verschleppt

 12.03.2025

Belgien

Fantasien über Mord an Juden fallen unter die Meinungsfreiheit

Entsetzen in der jüdischen Gemeinschaft: Ein Kolumnist wurde vom Vorwurf der Aufstachelung zur Gewalt gegen Juden freigesprochen

von Michael Thaidigsmann  12.03.2025

Österreich

Zwei Wochen lang »Shalom Oida«

Das Jüdische Filmfestival in Wien präsentiert die Realität jüdischen Lebens – von Antisemitismus bis Schidduch

von Stefan Schocher  11.03.2025

Frankreich

»Mach hier nicht auf Jude«

Eine Umfrage unter 2000 Jugendlichen zeigt, wie sich antisemitische Vorurteile auch an französischen Schulen ausbreiten

von Michael Thaidigsmann  10.03.2025

Porträt

Der Iberzetser

Dass Russen heute noch Einblick in die jiddische Literatur erhalten, ist vor allem Walerij Dymschiz zu verdanken. Ein Treffen mit dem Sprachmittler in seiner Stammkneipe in St. Petersburg

von Polina Kantor  09.03.2025

Großbritannien

Auf der Couch bei Ms. Freud

Sie ist die Urenkelin des prominentesten Psychologen der Welt. In ihrem Video-Podcast »Fashion Neurosis« stellt Bella Freud die Fragen

von Nicole Dreyfus  08.03.2025