Mehr als fünf Millionen Amerikaner leben derzeit mit Alzheimer. Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Erkrankten bis 2050 mindestens verdoppeln wird. Die jährlichen Kosten von Alzheimer und verwandten Demenzerkrankungen liegen allein in den USA bei mehr als 226 Millionen Dollar. Alzheimer ist zu einer öffentlichen Gesundheitskrise geworden.
Die US-Regierung hat in diesem Jahr 2,4 Milliarden Dollar für die Alzheimer-Forschung bereitgestellt, eine Rekordsumme. Zum Vergleich: In die Krebsforschung fließen im gleichen Zeitraum rund 5,7 Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern.
Bislang widmete sich der Großteil der Alzheimer-Forschung dem Abbau von Beta-Amyloid-Proteinen, die sich als Plaques zwischen den Nervenzellen des Gehirns ablagern. Seit einiger Zeit untersuchen Wissenschaftler auch die Rolle von Infektionen bei der Entstehung von Alzheimer.
STANDARDS Vor Kurzem hat »Hebrew Senior Life«, eine Gesundheitsorganisation mit engen Verbindungen in die jüdische Gemeinde von Boston, ein bislang einzigartiges Forschungsprojekt gestartet. Ziel ist, die Qualität der Pflege und damit auch die Lebensqualität von Alzheimer- und Demenzpatienten sowie ihrer Angehörigen zu verbessern – und zwar systematisch, strukturiert und nach einheitlichen Standards.
60 Forscher von 30 Universitäten beteiligen sich an dem Projekt.
»Es geht darum, evidenzbasierte Modelle zu entwickeln und Best-Practice-Lösungen zu identifizieren«, sagt Susan Mitchell, Professorin für Gerontologie an der Harvard University und leitende Wissenschaftlerin bei Hebrew Senior Life.
Für das Forschungsprojekt, das sich über fünf Jahre hinzieht und das Hebrew Senior Life gemeinsam mit der angesehenen Brown University in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island durchführt, stellt das staatliche Institut für Altersforschung (National Institute of Aging, NIA) ein Stipendium in Höhe von 53,4 Millionen Dollar zur Verfügung.
Rund 60 Forscher von mehr als 30 Universitäten und Universitätskliniken beteiligen sich an dem Projekt, darunter das Massachusetts General Hospital, die Harvard Medical School, die Yale School of Medicine und die University of California in Los Angeles (UCLA). Experten unterschiedlicher Fachrichtungen arbeiten eng zusammen, sagt Mitchell, neben Altersforschern auch Ethiker, Biostatistiker, Informatiker und Soziologen.
Mit dem Forschungsprojekt wollen Hebrew Senior Life und die Brown University eine Lücke schließen. »Es wird Zeit, dass Alzheimer- und Demenzforschung eine ebenso hohe Priorität gewinnt wie die Krebsforschung«, sagt Louis Woolf, Präsident und CEO von Hebrew Senior Life.
INFRASTRUKTUR Bereits in den vergangenen Jahren haben Mitchell und ihr Kollege Vincent Mor, Public-Health-Professor an der Brown University, bei einem Projekt zum Einsatz von Videofilmen bei Alzheimer- und Demenzpatienten zusammengearbeitet. Die Filme sollen Patienten helfen, Entscheidungen über Art und Umfang ihrer Pflege zu treffen – über den Einsatz einer Magensonde beispielsweise. Entscheidungen, die Demenzpatienten in der abstrakteren verbalen Kommunikation nicht mehr treffen können.
Auch bei dem neuen Projekt gehe es darum, »eine Infrastruktur und eine Systematik für die Forschung zur Pflege von Alzheimer- und Demenzpatienten zu entwickeln«, erklärt Mitchell. In Kooperation mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen führen Hebrew Senior Life und die Brown University rund 40 klinische Pilotstudien durch. Eine davon wird sich zum Beispiel dem Einsatz von Musiktherapie für Alzheimer- und Demenzpatienten widmen.
Hebrew Senior Life, gegründet 1903, gilt als eine der renommiertesten Institutionen in den USA nicht nur im Bereich der Altersforschung.
Hebrew Senior Life, gegründet 1903, gilt als eine der renommiertesten Institutionen in den USA nicht nur im Bereich der Altersforschung, sondern auch der praktischen medizinischen und sozialen Betreuung älterer Menschen. Der starke Gemeinschaftssinn, der jüdisches Leben traditionell prägt, ist auch ein Leitmotiv bei Hebrew Senior Life. »Das sind kulturelle Werte, die wir jeden Tag in unserer Arbeit anwenden«, sagt Mitchell.#
Die Forscherin hofft, dass die Patienten möglichst schnell und konkret von den Ergebnissen des Projekts profitieren. »Eine solche Studie hat es bislang nicht gegeben«, sagt sie. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass nach fünf Jahren Ergebnisse vorliegen, die in Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land umgesetzt werden. »Und dass unsere Forschung Menschen mit Alzheimer und Demenz ebenso wie ihren Familien dabei hilft, in ihrem Alltag besser zu leben.«