Eine der großen Persönlichkeiten der Fünften Republik ist tot. »Robert Badinter stand für das Licht der Aufklärung. Er war eine Figur des Jahrhunderts, ein Gewissen der Republik, der Geist Frankreichs«, schrieb Präsident Macron auf der Plattform X, vormals Twitter. Badinter hatte keine Angst vor gewissen Zuschreibungen. Ganz im Gegenteil, stets präsentierte er sich stolz als »republikanisch, laizistisch und jüdisch«.
»Ich bin Franzose und ein französischer Jude – beides lässt sich nicht trennen.« Das seien nicht nur hohle Worte, sondern »gelebte Realität«, schrieb die Tageszeitung »Le Monde« schon 2018. Und bis ins hohe Alter drängte Badinter Frankreich dazu, seine besondere Verantwortung im Streben nach universeller Menschenwürde und Frieden wahrzunehmen. So erklärte er in seinem letzten Interview gegenüber dem Radiosender »France Inter« 2023: »Wir Franzosen sind uns nicht bewusst genug, dass es in Europa einen Krieg gibt.«
Immer wieder erinnerte er sich an den Moment der Hinrichtung, der er beiwohnen musste.
Die Zeitungen Frankreichs widmeten am Wochenende Badinter ihre Titelseiten – schließlich war er ein Kämpfer, der konsequent gegen jede Form des Populismus eintrat, und das mit einem in langen Jahren als Rechtsanwalt geschulten, messerscharfen Argumentationsvermögen.
»Morgen wird Frankreichs Justiz dank Ihnen nicht länger eine Justiz sein, die tötet«, rief Badinter am 17. September 1981 den Abgeordneten der Nationalversammlung zu, als er in seiner Rede als Justizminister das Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe einbrachte. Es war dies eine Zeit, in der die Mehrheit der Franzosen die Verwendung der Guillotine nach wie vor für richtig hielt.
Aufhebung der Todesstrafe am 20. September 1981
Die Aufhebung der Todesstrafe am 20. September 1981 beendete für Badinter auch ein ganz persönliches Trauma. In seinen Büchern erinnerte er später immer wieder an den Moment der Hinrichtung, der er persönlich einmal beiwohnen musste. Das war am 24. November 1972, als das Fallbeil mit einem »scharfen Schnappen« einen seiner Mandanten wegen Beihilfe zum Mord ins Jenseits beförderte. Aber Badinter kämpfte weiter. Weltweit engagierte er sich gegen die Todesstrafe. 2007 veröffentlichte er eine Geschichte der Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich, die bedauerlicherweise noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde.
Dass Badinter ein großer Intellektueller der Aufklärung und der Menschlichkeit war, zeigt schon die Einleitung, in der er schreibt: »Die Geschichte der Abschaffung der Todesstrafe ist die Geschichte eines Sieges des Menschen über sich selbst. Angesichts des blutigen Verbrechens erhebt sich im Menschen der Todesinstinkt. Das Gesetz der Vergeltung ist die primitive Antwort des Menschen auf den Skandal des Verbrechens.«
Weiter führte er aus: »Die Geschichte der politischen Gesellschaften ist die Geschichte eines langen Terrors. Sie hat die Macht des Herrschers mit blutigen Buchstaben an die Mauer der Stadt geschrieben.« Darüber hinaus mache die Todesstrafe vor – fast – niemandem halt. Denn egal, ob Adlige, Untertanen oder Sklaven, ihre Existenz gehörte letztlich dem Herrscher. Im letzten Moment würde nur er durch die Ausübung des Begnadigungsrechts über Leben und Tod des Verurteilten entscheiden.
Ausübung des Begnadigungsrechts
Deshalb lässt sich die politische Dimension der Todesstrafe auch an der Ausübung des Begnadigungsrechts, des »imperium principis«, ablesen. Der Großherzog der Toskana war übrigens der erste Herrscher in Europa, der die Todesstrafe im Jahr 1786 abschaffen sollte. Dass dieser Schritt fast zeitgleich mit dem Aufkommen der Philosophie der Aufklärung geschah, ist alles andere als zufällig.
Denn erst als der Mensch zum Inhaber natürlicher Rechte erklärt wurde, die ihm durch keine Macht der Welt genommen werden können, erfüllte sich diese Utopie, und zwar eine Gesellschaft, deren Gesetz es verbietet, denjenigen zu töten, der seine Gebote missachtet hat; eine Gesellschaft, die anerkennt, dass ihre Macht an dieser unüberwindbaren Schwelle endet, nämlich dem absoluten Recht jedes Menschen auf die Achtung seines Lebens.
Von 1981 bis 1986 war Badinter Frankreichs Justizminister. Das war in der ersten Amtszeit von Präsident François Mitterrand. Danach folgten weitere neun Jahre als Präsident des Verfassungsrates. In dieser Funktion setzte er sich dafür ein, den Verfassungsrat zu einem Gericht zu formen, das die Rechtsstaatlichkeit garantiert und die Rechte und Freiheiten aller Franzosen schützt.
Bis zur Einführung des Verfahrens der Vorabverfassungsbeschwerde im Jahr 2008 setzte er seinen Kampf fort, der ihm als notwendige Ergänzung zu dem erschien, was Badinter zuvor als Justizminister eingeführt hatte, und zwar Einzelpersonen die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ermöglichen. Last but not least saß Badinter noch von 1995 bis 2011 als Abgeordneter der sozialistischen Partei im französischen Senat.
Das Vichy-Regime stellte für ihn einen Verrat an der Republik dar.
Geboren wurde Robert Badinter am 30. März 1928 in Paris als Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland, die vor den Pogromen geflohen waren. Als er 15 Jahre alt war, wurde sein Vater Simon aus Lyon deportiert. Er kehrte aus den Todeslagern der Nazis nicht zurück. Mehrere andere Mitglieder seiner Familie, darunter eine seiner Großmütter, erlitten ein ähnliches Schicksal. Er selbst habe bis dahin gar nicht begriffen, was es überhaupt heiße, jüdisch zu sein, so Badinter 2018 gegenüber »Le Monde«.
Republik, Rechtsstaat und Demokratie
Badinter, der dank gefälschter Papiere in einem Bergdorf in den Savoyen mit Mutter und Bruder überleben konnte, zog daraus den Schluss, stets wachsam und aktiv zu bleiben, um Republik, Rechtsstaat und Demokratie zu erhalten und zu verteidigen. Die Vichy-Regierung Frankreichs, die mit den Nazis bei der Deportation der Juden kollaborierte, stellte für ihn einen Verrat an der Republik dar.
Nach dem Krieg studierte er Literatur und Jura in Paris und erwarb einen Master of Arts an der Columbia University in New York. Er heiratete in zweiter Ehe die Philosophin und Publizistin Élisabeth Badinter, die sich an seiner Seite als kämpferische Feministin einen Namen machte. Während Élisabeths Werke ins Deutsche übersetzt wurden, liegen kaum Texte von Robert Badinter in dieser Sprache vor. Dabei hätte er eine deutschsprachige Gesamtausgabe mehr als verdient.
Badinters Beitrag für die Rechtswissenschaften, aber auch seine Verdienste um den grenzüberschreitenden Dialog zwischen Frankreich und Deutschland sowie sein Einsatz für die Gleichstellung von Homosexuellen können nicht hoch genug eingeschätzt werden.