Das vielleicht größte Risiko seiner politischen Karriere ging der isländische Präsident Ólafur Ragnar Grimsson ein, als er sich im Mai 2003 dazu entschloss, die in Israel geborene Dorrit Moussaieff zu heiraten. »Ich bin Realist. Ich wusste, dass es Schwierigkeiten geben würde«, gestand er später der israelischen Zeitung Haaretz. »Ich dachte, dass meine Beziehung zu Dorrit zu einer Situation führen würde, in der man mich nicht mehr als Präsident will. Keiner wusste, wie die Sache ausgehen würde. Da gab es eine Menge Unsicherheit.«
Nun ist Ólafur Grimsson zum dritten Mal seit seiner Heirat mit Dorrit Moussaieff als Präsident wiedergewählt worden. Am meisten erstaunt dies vielleicht den Präsidenten selbst: In einem Land, das in den 30er-Jahren fast alle jüdischen Flüchtlinge gnadenlos ausgewiesen und nach dem Krieg hingegen Hunderte christliche deutsche Frauen als Arbeitskräfte angeworben hatte, das sich in den 60er-Jahren erfolgreich gegen die Stationierung schwarzer US-Soldaten gewehrt und jahrzehntelang Einwanderer gezwungen hatte, sich isländische Familiennamen zuzulegen, ist es nicht selbstverständlich, dass eine ausländische – und dazu noch in Israel geborene – Präsidentengattin akzeptiert wird.
kritik Zudem sind Islands Regierungen bislang nicht durch ein besonderes Verständnis für Israels schwierige Situation aufgefallen. Und so war es anfangs nicht leicht für die neue First Lady in Reykjavik: Es gab sogar Isländer, die sich weigerten, ihr die Hand zu geben. Oder sie überhaupt zu empfangen. Inzwischen hat sich die Situation geändert. Während der Präsident ungeachtet seiner diesjährigen Wiederwahl immer mehr im Zentrum der politischen Kritik steht, bleibt Dorrit Moussaieff davon verschont.
Die amerikanisch-jüdische Einwanderin Hope Knutsson – sie lebt seit 38 Jahren auf der rund 300.000 Einwohner zählenden Insel – hat den Eindruck, dass die First Lady von der überwältigenden Mehrzahl der Isländer gemocht wird. »Sie verhält sich mitunter überhaupt nicht so, wie man es erwartet. Eher neigt sie zu sehr spontanen Reaktionen. Das ist für viele Leute hier eine angenehme Überraschung.«
Für die politische Klasse – und nicht zuletzt für ihren Ehemann – ist das spontane Verhalten der First Lady oft geradezu schockierend unkonventionell. Etwa wenn sich Dorrit Moussaieff bei einer aggressiven Demonstration vor dem Parlament in Reykjavik mit charmantem Lächeln unter die empörten Bürger mischt und so auf beiden Seiten der Barrikade für erhebliche Verunsicherung sorgt. Oder wenn sie Journalisten gegenüber mit einer Offenheit redet, die ihresgleichen sucht. So geschehen in einem Interview mit dem britischen Magazin Condé Nast, in dessen Verlauf Grimsson seine Gattin immer wieder anflehte, ihre Wahrheitsliebe zu zügeln (»Dorrit, so etwas kannst du doch nicht sagen! Sag’ so etwas bitte nicht!« – Sie: »Ich werde es aber sagen!«)
theater Kein Wunder, dass sich sogleich Isländer fanden, die in Dorrit Moussaieffs unverblümten Interview-Äußerungen in Condé Nast politische Sprengkraft und hohen Unterhaltungswert entdeckten. Das Theaterstück Nein, Dorrit! von Thorarinn Leifsson ist wahrscheinlich das weltweit einzige Drama, dessen Dialoge auf einem Presse-Interview basieren.
Dorrit Moussaieff, 1950 in Jerusalem geboren und in London aufgewachsen, ist so unkontrollierbar wie der Vulkan Eyjafjallajökull. Das kann sie sich auch leisten: Als Geschäftsfrau, Journalistin und sehr erfolgreiche Schmuckdesignerin für die High Society steht sie ihrem Vater, dem berühmten Diamanten-Tycoon und legendären Sammler jüdischer Antiquitäten, Shlomo Moussaieff, an Talent und Können in nichts nach.
dyslexie Auch mit ihrer vom Vater geerbten Dyslexie – sie hat nie gelernt, Hebräisch zu schreiben und kann die Gesichter anderer Menschen nicht wiedererkennen – geht Moussaieff entsprechend souverän um. »Sie hat niemals Angst gehabt, in der Öffentlichkeit grammatikalisch falsches Isländisch zu sprechen«, Knutsson, »obwohl man in Island gerade darauf bei öffentlichen Reden Wert legt.« Auch dafür wird sie in Island gemocht.
Worauf sich israelische Politiker hätten einstellen müssen, wenn Dorrit statt in Island in Israel First Lady geworden wäre, lässt ein Interview erahnen, das sie einer israelischen Zeitung gab. Dort stellte sie fest: »Israel ist keine Demokratie, sondern eine religiöse Diktatur.« Die Ultraorthodoxen sollten endlich arbeiten, statt den ganzen Tag zu lernen.
Andere Einschätzungen der First Lady sind schlicht bizarr. Wladimir Putin hält sie für einen exzellenten Präsidenten. Begründung: Er trinke keinen Wodka und treibe ausgiebig Sport. In den nächsten vier Jahren kann sich Island nicht nur auf Vulkanausbrüche, sondern vor allem auf weitere Überraschungen seiner First Lady einstellen.