Polen

Eine Entschädigung, die keine ist

Gesetzesentwurf lässt Schoa-Opfer weitgehend leer ausgehen. Jüdische Organisationen fordern Nachbesserung

von Gabriele Lesser  23.10.2017 19:58 Uhr

Schoa-Überlebende in Ramat Gan (Symbolfoto) Foto: Getty Images

Gesetzesentwurf lässt Schoa-Opfer weitgehend leer ausgehen. Jüdische Organisationen fordern Nachbesserung

von Gabriele Lesser  23.10.2017 19:58 Uhr

Über Jahrzehnte hinweg versicherten Warschauer Politiker den polnisch-jüdischen Schoa-Überlebenden und ihren Familien in aller Welt, dass sie natürlich bei einem Gesetzesprojekt zur Rückgabe des 1946 verstaatlichten Privateigentums berücksichtigt würden. Jetzt ist es so weit.

Knapp 30 Jahre nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1989 legen Polens derzeit regierende Nationalpopulisten den Entwurf eines Reprivatisierungsgesetzes vor. Doch die Enttäuschung der Juden in Polen und der Welt ist groß. Denn sollte das Projekt tatsächlich Gesetzeskraft erhalten, gehen sie weitgehend leer aus.

»Wir sind tief enttäuscht«, erklären Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, und Gideon Taylor, Chair of Operations der World Jewish Restitution Organization (WJRO), in einer gemeinsamen Erklärung und fordern eine Nachbesserung des Gesetzesentwurfs.

Enteignung Wenn es nach dem Willen der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ginge, sollen nur heutige Staatsbürger Polens einen Anspruch auf Rückgabe oder Entschädigung ihres einst verstaatlichten Eigentums haben. Außerdem müssten sich diese Personen zum Stichtag der Enteignung in Polen aufgehalten haben.

Dies würde automatisch den größten Teil der Schoa-Opfer und ihrer Familien aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausschließen. Denn viele polnische Juden flohen 1939 in die Sowjetunion oder wurden nach Kasachstan, Usbekistan oder Sibirien deportiert. Sie kamen häufig erst Jahre nach dem Krieg nach Polen zurück. Juden, die im deutsch besetzten Polen in SS-Konzentrations- und -Vernichtungslager gesperrt wurden, mussten in den letzten Kriegsmonaten Todesmärsche ins Deutsche Reich antreten. Bei Kriegsende waren die Überlebenden als sogenannte Displaced Persons in Deutschland. Dort versuchten sie, wieder zu Kräften zu kommen. Viele kehrten nicht nach Polen zurück, als sie von den Nachkriegspogromen in Kielce, Krakau und Rzeszow hörten.

Der Gesetzesentwurf sieht zudem vor, dass nur Erben in direkter Linie – also Kinder, Enkel und Urenkel – zum Anspruchskreis gehören sollen, außerdem Ehepartner, nicht aber Geschwister, Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen.

Doch in vielen jüdischen Familien überlebte nur ein entferntes Mitglied, das Anspruch auf das Eigentum erheben könnte. Auch sie hätten keine Chance auf eine Rückgabe oder Entschädigung, sollte das Gesetz in der vorgeschlagenen Form in Kraft treten.

Antragsfrist Auch die Antragsfrist von gerade einmal einem Jahr ist für polnische Juden und deren Familien, die heute im Ausland leben, extrem kurz. Denn in vielen Fällen sind aufwendige Recherchereisen notwendig, um die erforderlichen Dokumente aus Archiven zu beschaffen. Nach dem Verstreichen der Jahresfrist würde die Immobilie oder das Vermögen endgültig an den polnischen Staat fallen.

Bisher konnten Alteigentümer ihre Ansprüche durch Anwälte oder Gerichte durchsetzen. Sie bekamen entweder das Grundstück, das Haus, die Wohnung oder auch Kunstwerke zurück oder – wenn dies nicht mehr möglich war, weil sich in dem Haus eine Schule oder ein Krankenhaus befand – eine hohe Entschädigungssumme ausbezahlt. Manchmal wurden auch Alternativ-Immobilien angeboten. Doch damit soll nun Schluss sein.

Staatsanleihen Statt einer Rückgabe soll künftig nur noch eine Entschädigung möglich sein: in Höhe von 20 Prozent (des heutigen Wertes), wenn das Geld auf ein Konto überwiesen werden soll, oder in Höhe von 25 Prozent, wenn der Anspruchsberechtige bereit ist, sich mit polnischen Staatsanleihen entschädigen zu lassen.

Tief enttäuscht äußerte sich auch Leslaw Piszewski, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes in Polen. »Der Gesetzesentwurf ist schlecht und bedarf dringend der Überarbeitung.« So wie Ronald S. Lauder und Gideon Taylor denke auch er, dass die große Mehrheit der Schoa-Opfer und deren Familien leer ausgehen werden, sollte das Gesetzesprojekt in dieser Form in Kraft treten. »Nach der Schoa macht man uns Juden erneut zu Opfern – diesmal ganz offiziell durch ein Gesetz der polnischen Regierung.«

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