Eines der wichtigsten Bauprojekte der vergangenen Jahrzehnte soll in der nordgriechischen Metropole Thessaloniki endlich Wirklichkeit werden. Die Planung sieht vor, dass in den nächsten Monaten der Grundstein für den Bau eines modern ausgestatteten Holocaust-Zentrums gelegt wird.
Die jüdische Gemeinde Thessaloniki hatte dafür bereits im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Leiter des Memorial de la Shoah in Paris einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Nach Ansicht des Präsidenten der jüdischen Gemeinde Thessalonikis, David Saltiel, verläuft alles nach Plan. Bald wird das zuständige griechische Ministerium seine Unterschrift für die Grundsteinlegung geben.
Gymnasium Das Holocaust-Zentrum beruht auf einem ganz persönlichen Traum Saltiels. Irgendwann im Jahr 2013, mitten in der griechischen Krise, kam ihm die Idee zu einem Bildungszentrum und einem darin integrierten Museum. Ebenso sollten daneben eine neue jüdische Grundschule und ein Gymnasium entstehen. Ein zu jenem Zeitpunkt, wie er gesteht, sehr wagemutiger Gedanke.
Wer würde dies mitten in der Krise finanzieren wollen? Und wo sollte das Museum in dieser eng bebauten Stadt überhaupt entstehen? Doch die Sterne standen günstig: Die Stadtväter begrüßten die Idee sofort, allen voran Thessalonikis Bürgermeister Giannis Boutaris. Er war der erste Lokalpolitiker, der das jüdische Erbe der Stadt Thessaloniki zur Chefsache erklärt hatte, und setzte alles daran, dass das Holocaust-Zentrum noch während seiner Amtszeit errichtet werden könnte.
Nicht ohne Grund bezeichnet Saltiel den Bürgermeister als den Wagenlenker des geplanten Holocaust-Zentrums. Denn Boutaris habe alles in seiner Macht Stehende getan, um es international bekannt zu machen.
Garten Der Entwurf sieht zwei Gebäude inmitten einer Gartenanlage vor. Das erste, ein 35 Meter hoher runder weißer Bau, soll das Education Center sein mit Parkhaus, Auditorium, Museums- und Vortragsräumen. In einem zweiten, elf Meter hohen, runden Gebäude wird eine internationale Bildungseinrichtung untergebracht sein, mit einer Grundschule und einem Gymnasium.
David Saltiel betont, wie wichtig es für ihn war, dass der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras diesem Projekt sehr positiv gegenübersteht. »Für mich ist es wie ein Wunder, denn wir hatten zu Beginn unserer Überlegungen weder den Raum noch das Geld, um es zu verwirklichen. Aber die meisten Dinge auf dieser Welt werden eben nicht von uns entschieden. Wir sind nur dafür da, sie auszuführen. Plötzlich erhielten wir von allen Seiten Unterstützung.«
Güterbahnhof Auf einem Gelände im westlichen Randbezirk der Innenstadt Thessalonikis, auf dem sich auch der ehemalige Güterbahnhof befindet, von dem aus im März 1943 insgesamt 19 Transporte nach Auschwitz abfuhren, hat die griechische Bahn AG der jüdischen Gemeinde ein 15.000 Quadratmeter großes Grundstück zur Verfügung gestellt, um mit dem geplanten Bau zu beginnen, der 7000 Quadratmeter umfassen soll.
Man geht davon aus, dass das Projekt insgesamt knapp 30 Millionen Euro kosten wird. Mit zehn Millionen Euro will sich die Kulturstiftung der griechischen Reederfamilie Niarchos daran beteiligen. Weitere Millionen sollen aus amerikanischen und französischen Vereinen kommen. Und am 25. März dieses Jahres fiel im Deutschen Bundestag die Entscheidung, das Bauvorhaben mit weiteren zehn Millionen Euro zu fördern. Die Hälfte davon ist bereits ausbezahlt worden.
Im Sitzungsraum der jüdischen Gemeinde Thessaloniki steht das Holocaust-Museum bereits als Modell auf dem Tisch. Zwei Architekturbüros haben es entworfen: Efrat-Kowalsky Architects in Tel Aviv sowie Heide & von Beckerath in Berlin.
David Saltiel fährt mit dem Zeigefinger am Miniaturplan entlang: »Sehen Sie, neben dem Holocaust-Museum wird sich die Schule befinden. Ich meine damit nicht eine Schule nur für Juden. Es soll eine internationale Schule für alle Kinder sein.«
Tourismus Das neue Holocaust-Zentrum wird vermutlich auch zu einem touristischen Anziehungspunkt der Stadt werden. Seit einigen Jahren steigt die Zahl ausländischer Reisender, die Thessaloniki besuchen. Viele kommen aus Israel.
Um die Verbindung der Stadt mit ihrer jüdischen Geschichte zu betonen, hatte sich im vergangenen Jahr der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras mit Israels Premier Benjamin Netanjahu in Thessaloniki getroffen und eine Resolution für die Verwirklichung des Holocaust-Zentrums unterschrieben. Bei diesem Besuch gedachten die beiden Regierungschefs auch der rund 50.000 jüdischen Einwohner der Stadt, die während der Schoa ums Leben kamen.
Die Vertreter der nordgriechischen Tourismusbranche sind sich dieser historischen Tatsache bewusst, und sie sind der Ansicht, dass die jüdische Geschichte Thessalonikis der ganzen Welt gehört – aber sie sehen darin wirtschaftliches Potenzial. So sagte Thessalonikis Kultur- und Tourismusattaché Spyros Pengas kürzlich: »Die Existenz eines Holocaust-Museums in Thessaloniki katapultiert uns sofort touristisch auf ein höheres internationales Level. Das Holocaust-Museum wird noch mehr Touristen in die Stadt locken.«
Was Schoa-Überlebende wohl von einer solchen Einschätzung halten? Aber es stimmt: Die Lage des künftigen Holocaust-Bildungszentrums weitet automatisch die touristische Promeniermeile der Stadt in westliche Richtung aus. Und wenn der weiße runde Bau 2019 seine Tore öffnet, werden die Reisebücher über Thessaloniki wohl neu geschrieben werden müssen. Denn an den Ufern dieser Stadt wird dann von zwei weißen Türmen die Rede sein, einem im Osten und einem im Westen der Innenstadt.