Wie starb AMIA-Sonderermittler Alberto Nisman? Diese Frage treibt die Argentinier um, seit der Staatsanwalt am 18. Januar 2015 mit einer Kugel im Kopf in seinem Badezimmer in Buenos Aires gefunden wurde. Die Justiz hat bisher kein abschließendes Urteil abgegeben, doch eine interdisziplinäre Expertenkommission der argentinischen Militärpolizei Gendarmería ist jetzt zu dem Schluss gekommen, dass Nisman ermordet wurde.
Ihr Bericht widerspricht der Analyse eines Teams von Rechtsmedizinern, das 2015 feststellte, Nisman habe sich wohl das Leben genommen. Jene Forensiker wurden von der damals zuständigen Staatsanwältin Viviana Fein eingesetzt. Eine weitere Untersuchung von vier Kriminalistikexperten der argentinischen Bundespolizei sprach ebenfalls von Selbstmord.
Nasenbruch Mit dem neuen Bericht, den der amtierende Ermittler im Fall Nisman, Eduardo Taiano, in Auftrag gab, stützt nun erstmals ein offizielles Dokument die These vom Mord. Nach Auffassung der Spezialisten von der Gendarmería wurde Alberto Nisman von zwei Personen getötet, die in seine Wohnung eingedrungen seien. Ein Nasenbruch und eine Leberverletzung ließen auf eine Gewaltanwendung gegenüber dem Staatsanwalt schließen. Die Mörder hätten Nisman das Betäubungsmittel Ketamin verabreicht, von dem Spuren in seinem Körper gefunden wurden, und ihn dann erschossen.
Der Gendarmería-Bericht ist ein neues Element in den Ermittlungen zu Nismans rätselhaftem Tod, aber noch sind diese nicht abgeschlossen. Computer, Handy und Mailverkehr des AMIA-Sonderermittlers werden erneut ausgewertet – so hat es Staatsanwalt Taiano angeordnet.
IRAN Der Dachverband jüdischer Organisationen in Argentinien, DAIA, war von Anfang an von Mord ausgegangen und fühlt sich durch den Gendarmería-Bericht bestätigt. »Nisman wurde umgebracht«, sagte DAIA-Präsident Ariel Cohen Sabban nach der Veröffentlichung. Auch forderte er die Justiz auf, ans Licht zu bringen, ob es zwischen der argentinischen Regierung von Ex-Präsidentin Cristina Kirchner und der iranischen Regierung möglicherweise einen »Pakt« gegeben hat – mit dem Ziel, Irans mutmaßliche Verantwortung für den Anschlag auf das jüdische Gemeinschaftszentrum AMIA zu vertuschen. Alberto Nisman, der das Attentat von 1994 mit 85 Toten aufklären sollte, hatte Kirchner kurz vor seinem Tod genau dies vorgeworfen.
Gegen Cristina Kirchner läuft in Argentinien ein Verfahren wegen des Verdachts der Verschleierung. Vier Tage nach den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag, bei denen sie für einen Sitz im Senat kandidiert, wird sie aussagen müssen – ebenso wie ihr ehemaliger Außenminister Héctor Timerman.
Vertuschung Die Ex-Präsidentin wies Mitte September in einem Fernsehinterview den Vorwurf der Vertuschung zurück. Dass ihre Regierung 2013 mit dem Iran eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit bei der Aufklärung des AMIA-Attentats vereinbarte, habe vielmehr Bewegung in die Ermittlungen bringen und die Wahrheit zutage fördern sollen. Kirchner kritisierte auch die Anschuldigungen gegen ihre Regierung, hinter dem Tod von Alberto Nisman zu stecken: Diese entbehrten jeder Grundlage und seien »riesiger Unsinn«.
Derartige Anschuldigungen kommen vor allem von Mitgliedern und Anhängern der amtierenden Regierung des Liberalen Mauricio Macri. So sprach Elisa Carrió, Abgeordnete der Regierungskoalition, offen von einem Mord an Nisman, für den Kirchner verantwortlich sei. Etwas vorsichtiger äußert sich ihr Parlamentskollege Waldo Wolff von Macris Partei PRO. Wolff, ehemaliger DAIA-Vizevorsitzender, sagte zu dem Expertenbericht, dieser lasse vermuten, dass Nisman tatsächlich umgebracht wurde. Schwieriger aber sei es, zu klären, wer die Drahtzieher seien. Gegenüber der Zeitung »Clarín« äußerte Wolff die Vermutung, »ein geschulter Täter« habe Nisman ermordet.
Nicht wenige Argentinier gehen davon aus, dass der Geheimdienst für den Tod des Staatsanwalts verantwortlich ist. An jenem Sonntagabend im Januar 2015, an dem Nisman tot aufgefunden wurde, telefonierten unaufhörlich argentinische Agenten miteinander. Bereits der ehemaligen Ermittlerin Viviana Fein erschien die massive Häufung von Telefonaten äußerst verdächtig, und auch ihrem Nachfolger Eduardo Taiano geht es so. Die Gespräche werden zurzeit ausgewertet – brisante und möglicherweise entscheidende Erkenntnisse sind zu erwarten.