»Ich will eine Sache machen, und die möglichst gut und gründlich«, sagte Jan Koum vor einiger Zeit dem US-Wirtschaftsmagazin »Forbes« in einem seiner seltenen Interviews. Ganz konkret ging es um eines seiner Hobbys, das Boxen, und die Tatsache, dass sein Stil fokussiert sei, seine Punches langsam, aber kraftvoll.
In seinem Leben als Start-up-Unternehmer hat Koum mehr als nur eine Sache gemacht, und in den vergangenen Monaten hat sich der Kreis seiner Aktivitäten geschlossen. Koum ist Mitgründer von WhatsApp, dem Messengerdienst für Mobiltelefone – mit mehr als zwei Milliarden Nutzern das größte soziale Netzwerk der Welt. Während des Krieges in der Ukraine ist WhatsApp zum Schlüsselinstrument der Kommunikation geworden, genutzt von Soldaten, Journalisten und Zivilisten, von humanitären Organisationen und politischen Propagandisten.
HERKUNFT Es ist Zufall oder nicht, dass Jan Koum aus der Ukraine stammt, aus Fastiw, einem Vorort von Kiew, auf den zu Beginn des Krieges russische Bomben niederhagelten. Kein Zufall ist aber wohl, dass der 46-Jährige – mit einem geschätzten Privatvermögen von 9,8 Milliarden US-Dollar – zu den größten Philanthropen in der jüdischen Welt zählt, insbesondere in Osteuropa.
Die Höhe und die Empfänger von Koums üppigen Spenden sind indes nur bedingt bekannt. »Das US-Steuerrecht gewährt Philanthropen weitreichende Anonymität«, sagt Lila Corwin Berman, Professorin für Amerikanisch-Jüdische Geschichte an der Temple University in Philadelphia. Dies gelte vor allem, wenn Philanthropen wie Koum ihre Spendengelder über den Umweg gemeinnütziger Stiftungen verteilten.
Bekannt ist immerhin, dass Koum über seine eigene Stiftung, die Koum Family Foundation, 17 Millionen Dollar für die European Jewish Association mit Sitz in Brüssel spendete.
Der Großteil dieses Geldes fließt derzeit in die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine. Weitere 10,6 Millionen Dollar gingen an die Federation of Jewish Communities of the CIS, ein Verbund jüdischer Gemeinden in Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Organisation finanziert damit eine Ambulanzflotte, die Kriegsopfer aus der Ukraine in benachbarte Länder bringt.
TRANSPARENZ Laut Recherchen der Jewish Telegraphic Agency (JTA) hat Koums Stiftung allein in den Jahren 2019 und 2020 rund 140 Millionen Dollar an 70 jüdische Organisationen in den USA, in Israel und in Osteuropa verteilt. Der Mangel an Transparenz, den das amerikanische Steuersystem Philanthropen wie Koum für ihr Engagement gewähre, sei problematisch, findet Berman. Private Spender würden durch großzügige Steuererleichterungen ermächtigt, im Auftrag der Öffentlichkeit Gutes zu tun. »Aber die Öffentlichkeit hat kaum Möglichkeiten zu überprüfen, was in ihrem Namen tatsächlich geschieht.«
Koums Wohltätigkeit bewegt sich im Nebel – doch es zeichnet sich ein Muster ab.
Obwohl sich Koums wohltätige Aktivitäten teilweise im Nebel der Anonymität bewegen, zeichnet sich dennoch ein Muster ab: Auffällig viele der Organisationen, die der Tech-Philanthrop unterstützt, haben Verbindungen zu der chassidischen Bewegung Chabad Lubawitsch, deren Zentrum sich in Crown Heights im New Yorker Stadtteil Brooklyn befindet.
Chabad ist sehr populär unter Juden aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dies sei nicht überraschend, meint Joshua Tapper, Historiker an der Stanford University, gegenüber der Jewish Telegraphic Agency. Chabad biete all jenen, deren jüdische Identität unter sowjetischer Herrschaft unterdrückt wurde, eine ansprechende Botschaft. »Die lautet: ›Wir haben die sowjetische Wildnis überlebt, und jetzt reklamieren wir unseren rechtmäßigen Platz.‹«
universitäten Koum spendet auch für Einrichtungen in Israel, vor allem im Gesundheitswesen, wie die zionistische Frauenorganisation Hadassah. Auch unterstützt er großzügig führende Universitäten in den USA – allen voran die Standford University.
Ein beträchtlicher Teil der Spenden reflektiert Koums politisch konservative sowie seine pro-israelische Haltung. Vor knapp zwei Wochen gab die Bundeswahlkommission der USA bekannt, dass Koum im Juni zwei Millionen Dollar für die pro-israelische US-Lobbyorganisation AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) spendete. Damit wurde Koum zum bislang größten individuellen Geldgeber für die diesjährige politische Kampagne von AIPAC, die israelfreundliche Kandidaten bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei für die im November stattfindenden Kongresswahlen unterstützt.
Außerdem spendete Koum in den vergangenen Jahren für die Maccabee Task Force Foundation, eine Stiftung, die von dem mittlerweile verstorbenen republikanischen Philanthropen Sheldon Adelson gegründet wurde und die Lobbyarbeit für Israel an amerikanischen Colleges betreibt. Koum spendete außerdem sechs Millionen Dollar für Friends of David, den Fundraising-Zweig von Elad, einer Gruppe von Aktivisten, die den jüdischen Siedlungsbau in Ost-Jerusalem vorantreiben will. 175.000 Dollar gingen ferner an den Central Fund of Israel, eine Organisation, die Spenden aus den USA an Siedler im Westjordanland verteilt.
TELLERWÄSCHER So bedeckt sich Koum in seiner Rolle als Philanthrop hält, so skizzenhaft bleibt auch seine Biografie. Was sich aus den Eckdaten abzeichnet, ist eine klassische »Vom Tellerwäscher zum Millionär«-Geschichte. 1992 – im politischen Chaos des zerfallenden Sowjetreiches und in den Wogen eines anschwellenden Antisemitismus – wanderte der damals 16-Jährige mit seiner Mutter aus der Ukraine in die USA aus. Der Vater wollte später nachkommen, starb aber 1997.
Mutter und Sohn ließen sich in Mountain View im Silicon Valley nieder – jener Stadt, in der Google später sein mittlerweile legendäres Hauptquartier, den Googleplex, errichten sollte. Sie lebten in einer Zweizimmerwohnung und bekamen Sozialhilfe. Die Mutter verdiente sich Geld als Babysitterin dazu, Koum ging in einem Supermarkt putzen. Später erkrankte die Mutter an Krebs und starb im Jahr 2000.
Während der Highschool entdeckte Koum die Welt des Programmierens, schrieb sich nach dem Schulabschluss an der San José State University ein und arbeitete nebenbei als Anwendungstester bei der Unternehmensberatung Ernst & Young. Dort lernte er den Informatiker Brian Acton kennen. Die beiden Männer verband eine tiefe Abneigung gegenüber der Wohlfühl-Strategie vieler Geschäftsleute, von Weinproben über Business-Lunches bis zum Golfplatz-Networking, und beide hatten ein Faible für Geradlinigkeit.
talent »Keiner von uns hat Talent für Bullshit«, sagte Koum. Koum und Acton heuerten bei Yahoo an und arbeiteten dort mehrere Jahre als Entwickler. Sie wurden auch privat Freunde, fuhren gemeinsam Ski, spielten Fußball und Ultimate Frisbee. 2007 verließen sie Yahoo, reisten durch Südamerika, bewarben sich bei Facebook und wurden abgelehnt.
Er spendet für eine Organisation, die ukrainische Kriegsopfer ins Ausland bringt.
2009 kaufte sich Koum ein iPhone, tauchte tief in die noch brandneue Welt der Apps ein und erkannte deren Potenzial. Er entwickelte eine App, die ihren Nutzern erlaubte, individuelle Statusmeldungen zu teilen – nannte sie WhatsApp, in Anlehnung an die englische Redewendung »What’s up« (Was ist los?) –, und ging damit auf den Markt. Das erste Büro von WhatsApp war – in bester Start-up-Manier – ein Hinterzimmer in einem Lagerhaus in Mountain View, mit wackeligen Ikea-Tischen und ohne funktionierende Heizung.
Der Erfolg blieb zunächst aus, und Koum war kurz davor, das Projekt zu begraben. Doch Acton sagte: »Nur ein Idiot würde jetzt aufgeben.« Das ging gegen Koums Ehre. Die notgedrungene Geduld zahlte sich aus. Immer mehr Nutzer in den USA, aber vor allem in Europa, entdeckten die Vorzüge von WhatsApp, das sich zu einer kostengünstigen und anwendungsfreundlichen Alternative zur traditionellen SMS entwickelte. In den kommenden Jahren wuchs die Nutzerbasis – auf mehr als 200 Millionen im Jahr 2013. Der Umsatz betrug 20 Millionen Dollar. Facebook-Gründer Marc Zuckerberg wurde aufmerksam.
Nach kurzen Verhandlungen entschieden Koum und Acton 2014, ihr Unternehmen für 19 Milliarden Dollar an Facebook zu verkaufen. Für die Vertragsunterzeichnung wählte Koum einen symbolträchtigen Ort – ein heruntergekommenes Gebäude in Mountain View, einst Sitz der Sozialbehörde, in der Koum als Teenager für Lebensmittelgutscheine anstand.
RUHESTAND 2018 verließ Koum WhatsApp und trat auch von seinem Posten als Mitglied des Verwaltungsrats von Facebook zurück – angeblich nach einem Streit über aggressive Werbung im Internet. Seitdem gibt er bei offiziellen Anlässen als Beruf »retired« an – im Ruhestand.
Jan Koums Privatleben bleibt ebenso schemenhaft wie seine Tätigkeiten als Philanthrop. In der Highschool soll er ein Rüpel gewesen sein, und im College erwirkte eine Ex-Freundin eine einstweilige Verfügung gegen ihn, weil er sie verbal und körperlich bedroht haben soll. Später erklärte er, er schäme sich für sein damaliges Verhalten.
Koum besitzt sechs Villen im Silicon Valley und im Prominenten-Wohnort Malibu nahe Los Angeles. Er fährt Porsche, hat eine Sammlung von mehreren 911 und sagt Sätze wie: »Der Sound des Sechszylinders ist die beste Musik.« Er outete sich in mehreren Tweets (die er später wieder löschte) als Anhänger des ehemaligen Präsidenten Donald Trump.
Zugleich hegt er wenig Sympathien für Unternehmer. »Der Nächste, der mich einen Entrepreneur nennt, der bekommt von meinem Bodyguard eins aufs Maul«, schrieb er einmal auf Twitter. Weil Unternehmer vom Geld motiviert seien, setzte er hinzu. Er aber wolle ein hochwertiges Produkt entwickeln. Und ansonsten möglichst seine Spuren verwischen – gut und gründlich.