Die Szene war durchaus anrührend – selbst im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest, der viel Kitsch und Herzblut gewohnt ist. Auf der Pressekonferenz nach seiner ersten Probe in Wien bekam der diesjährige israelische Vertreter Nadav Guedj spontan Besuch auf dem Podium von einem libanesischen Schlagerfan.
Dieser hielt die Zedern-Flagge des Libanon hoch, der erst 16-jährige Guedj daneben die israelische mit dem Davidstern. Ein Zeichen der Verbrüderung durch die Musik – über die Grenzen von jahrzehntelangen politischen Konflikten hinweg.
Show »Building Bridges« – Brücken bauen – heißt denn auch passend das Motto dieses 60. Eurovision Song Contest, der in diesen Tagen in der österreichischen Hauptstadt ausgetragen wird. Nach dem überragenden Sieg des Travestiekünstlers Conchita Wurst alias Thomas Neuwirth im vergangenen Jahr in Kopenhagen macht die größte Unterhaltungsshow Europas in Wien Station – 48 Jahre nach dem Sieg von Udo Jürgens mit dem unvergessenen »Merci Chérie«. Und die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) richtete am Montag gemeinsam mit der israelischen Delegation eine große Party unter dem Motto »The Israeli Party – Eurovision 2015« aus.
Es ist die 60. Ausgabe des Spektakels; da wollte Israel natürlich nicht fehlen. Allerdings war im Vorfeld spekuliert worden, die Israelis hätten durch ihre schlechten Platzierungen der vergangenen Jahre die Lust an der Teilnahme verloren. Der letzte Top-Fünf-Rang liegt genau ein Jahrzehnt zurück, der letzte Sieg war im Jahr 1998.
Pop und soul Um seinen Vertreter für Wien zu küren, entschied sich das israelische Fernsehen in diesem Jahr für das Ausscheidformat Kochav Nolad (Ein Stern wird geboren). In mehreren Runden traten junge Talente gegeneinander an. Gewonnen hat der Schüler Nadav Guedj.
Geboren in Paris, aber aufgewachsen in Israel, gilt Guedj tatsächlich als eines der wenigen vielversprechenden Talente im Eurovisionswettbewerb. Guedj selbst fühlt sich in der zeitgenössischen Popmusik zu Hause, lässt sich aber auch gerne von Hip-Hop und Soul inspirieren. »Hauptsache, es macht Spaß«, sagt er.
So tritt der 16-Jährige auch in Wien auf. Bereits bei den Proben drängelten sich Journalisten aus der ganzen Welt vor der Bühne, um die energiegeladene Performance seines Beitrags »Golden Boy« mitzuerleben. Und der Funke springt sofort über.
Erwartungen »Als ich den Song zum ersten Mal hörte, wusste ich, dass das was für den Eurovision Song Contest ist«, bekennt Guedj. Sein Beitrag besteht eigentlich aus zwei Liedern – einem getragenen, langsamen Teil und einer orientalischen Mittelmeernummer, die gute Chancen hat, in ganz Europa Stimmen einzusammeln.
Hohe Erwartungen an sein Abschneiden hat Nadav Guedj – zumindest offiziell – zwar keine, doch angesichts eines Jahrgangs mit vielen langsamen Duetten dürfte der 16-jährige Israeli zweifellos die Wiener Stadthalle mit ihren 10.000 Zuschauern und ein Millionenpublikum weltweit zum Mittanzen bringen.
Doch erst einmal muss er sich unter den zehn Besten im Halbfinale am Donnerstag platzieren, dann darf er auch am Samstag im Grand Final antreten. Die Chancen stehen nicht schlecht. Und falls es nicht klappen sollte, wird Guedj einfach noch ein paar weitere Tage in Wien feiern – wie er es jetzt schon auf zahlreichen Delegationspartys getan hat.