Schweiz

Ein Faden für Zürich

Bald Teil von Zürich: Eine kaum sichtbare Schnur durch die Straßen der Schweizer Großstadt. (Symbolfoto) Foto: Copyright (c) Flash 90 2009

Der lang ersehnte, erste Schweizer »Eruv« steht kurz vor seiner Vollendung. Es fehlen nur noch 500 Meter dünner Nylonfaden: eine für Außenstehende kaum sichtbare Schnur durch die Zürcher Straßen, die für praktizierende Juden jedoch einen bedeutenden Unterschied macht.

Damit wird eine Linie um das Wohngebiet gezogen, die ermöglicht, am Schabbat beispielsweise einen Kinderwagen zu schieben, Wasser auf einen Spaziergang mitzunehmen oder Freunden einen Kuchen vorbeizubringen.

Das ist für observante Jüdinnen und Juden bisher am Schabbat nicht möglich, denn das Tragen eines Gegenstandes im öffentlichen Raum sowie sein Bewegen von einem privaten in einen öffentlichen Raum und andersherum zählt zu den 39 am Schabbat verbotenen Tätigkeiten. Mit einer Eruv-Einzäunung hebt sich das Verbot auf, weil der nun eingegrenzte öffentliche Raum symbolisch zu einem gemeinsamen Zuhause wird. 

Eruv bedeutet auf Hebräisch »Vermischung«, es sind der private und der öffentliche Raum, die darin vermischt werden. In talmudischen Zeiten konnte dafür die bereits vorhandene Stadtmauer dienen. Im modernen Großstadtdschungel ist eine solche Grenzziehung deutlich komplizierter. Daher der halachische Kniff.

In Zürich soll bereits ab nächstem Jahr ein dafür vorgesehener Teil der Stadt vollständig umspannt sein. Der Eruv kann dabei zum großen Teil entlang bestehender Mäuerchen, Zäune und Stromleitungen verlaufen. Allfällige Lücken werden mit durchsichtigem Nylonfaden geschlossen.

Zwischen Oberleitungen und Stromkabeln ist der Eruv kaum zu erkennen.
Die symbolische Grenze ist 18 Kilometer lang

18 Kilometer lang ist der Verlauf nach derzeitiger Planung. Die symbolische Grenze umfasst hauptsächlich die Quartiere Wiedikon, Enge und Wollishofen, wo besonders viele observante Jüdinnen und Juden zu Hause sind. Der größte Teil der Eruv-Umrandung bewegt sich entlang bestehender Strukturen.

Mit dem Nylonfaden müssen nur etwa 500 Meter neu markiert werden, sagt Cédric Bollag, der Initiator des Zürcher Eruv-Projekts. Ihn und seine Familie hat es jahrelang gestört, dass viele jüdischen Familien am Schabbat an Lebensqualität einbüßen müssen, weil nach jüdischer Vorschrift dann zum Beispiel kein Kinderwagen geschoben werden darf.

»Der Eruv ist keine neuzeitliche Erfindung. Doch im Austausch mit vielen modern-orthodoxen Familien wurde klar, welch großes Bedürfnis in Zürich dafür vorhanden ist«, betont Bollag.

New York, London oder Wien haben bereits einen Eruv

Zahlreiche Städte wie New York, London oder Wien haben bereits einen Eruv durch weite Teile der Stadt gezogen. Für das über 2000 Jahre alte Prinzip, eine solche Errichtung zu schaffen, wurde ursprünglich die Stadtmauer als Begrenzung herangezogen, heute können auch Konstruktionen wie die Stadtbahnbögen oder Bahnstrecken, sowie natürliche Begrenzungen wie ein Flussbett verwendet werden. Auch in Zürich sind weite Teile hierfür bereits gegeben.

Finanziell getragen werden soll das 1,5-Millionen-Projekt durch Privatspenden, Crowdfunding und den drei großen jüdischen Gemeinden in Zürich, die sich untereinander einen Drittel der Kosten aufteilen. Bereits zwei haben ihren Kostenanteil zugesagt, so auch die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ), die größte jüdische Gemeinde der Stadt.

Auf der gestrigen Gemeindeversammlung wurde der Antrag mit 285 Ja-Stimmen, 41 Nein-Stimmen und 15 Enthaltungen entschieden angenommen. Initiator Bollag, Vater dreier Kinder und Unternehmer, ist über das gestrige Wahlergebnis hocherfreut: »Dieses positive Resultat überrascht mich keinesfalls. Aber es zeigt die Notwendigkeit in einer Stadt wie Zürich, wo viele junge und modern-orthodoxe Menschen leben.«

Für den ICZ-Gemeinderabbiner Noam Hertig ist es ebenfalls ein Erfolg: »Ich freue mich besonders über all diejenigen, die, obwohl sie zwar selbst keinen Schabbat oder ihn zumindest nur teilweise einhalten, sich trotzdem solidarisch mit all jenen gezeigt haben, die auf den Eruv angewiesen sind.«

So sei es der Gemeinde mit ihrem Appell an die Solidarität gelungen, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass sich die Beteiligung an diesem Generationenprojekt lohne und die Gemeinde beleben werde.

Auch von Seiten der Stadt zeigt man sich gegenüber dem Projekt wohlwollend. Das Konzept wurde dem Zürcher Stadtrat schon vor gut zwei Jahren präsentiert, eine Vorprüfung hat behördenintern keine grundsätzlichen technischen Bedenken ergeben.

Die erste Idee eines Eruvs entstand bereits 2017, Anfang 2023 wurde die Planung des Verlaufs abgeschlossen und die Bauplanung eingeleitet, dieses Jahr wurde schließlich mit den ersten Bauarbeiten begonnen, die notwendig waren. Gemäß Bollag soll der Eruv bis zum Frühjahr 2025 in Betrieb genommen werden. ja

Australien

Brandanschlag auf Auto eines Rabbiners in Melbourne

Kurz nach dem Terroranschlag am Bondi Beach geht im Süden Australiens ein Fahrzeug mit »Happy Chanukah!«-Schriftzug in Flammen auf

 25.12.2025

Australien

Mann solidarisiert sich mit Sydney-Attentätern – Festnahme

Bei dem Verdächtigen wurden Einkaufslisten für den Bau einer Bombe und Munition gefunden. Es erging bereits Anklage

 24.12.2025

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Frankreich

Jüdische Kinder vergiftet, aber Antisemitismus spielt keine Rolle

Ein Kindermädchen, das ihre jüdischen Arbeitgeber vergiftet hatte, wurde nun in Nanterre verurteilt - allerdings spielte ihr Antisemitismus im Urteil keine Rolle. Das sorgt für Protest

 22.12.2025

Australien

Gedenken am Bondi Beach – Forderung nach Aufklärung

Kerzen, Schweigen, Applaus und Buh-Rufe: Am Strand in Sydney trauern Tausende um die Opfer des Anschlags. Was die jüdische Gemeinde und Australiens Politik jetzt fordern

 22.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  23.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025