Johan Cruyff, einer der besten Fußballer, die es in der bisherigen Geschichte dieses Sports gab und der in der vergangenen Woche starb, war kein Jude. Doch seine Verbindungen zum Judentum sind so vielfältig, dass viele Zeitgenossen den Niederländer für einen Juden hielten.
Aufgewachsen ist Cruyff in der Amsterdamer Siedlung Betondorp. Das »Betondorf« befindet sich im Osten der Stadt, nur einen Steinwurf entfernt vom Stadion »De Meer«, dem früheren Stadion des auch gerne – und keineswegs abwertend – als »Judenklub« bezeichneten Klubs Ajax Amsterdam, bei dem Cruyff seinen Weltruf begründete.
akkerstraat Als am 15. Mai 1940 die Deutschen in die Niederlande einfielen, war der Osten Amsterdams noch stark jüdisch geprägt. Auch in Betondorp lebten viele Juden. Um die 400 dürften es gewesen sein. 227 Betondorper Juden wurden in Auschwitz und Sobibor ermordet. 18 von ihnen kamen aus der Akkerstraat, der Straße, in der Cruyff aufwuchs.
Als ein Verein, der im Amsterdamer Osten beheimatet war, blieb Ajax von der jüdischen Community nicht unberührt. Auch Nichtjuden wie Johan Cruyff bewegten sich in einem von jüdischer Kultur beeinflussten Milieu, wie es in den Niederlanden nach der Schoa ansonsten kaum noch existierte. Barry Hulshoff, von 1966 bis 1977 in der 1. Ajax-Mannschaft und Nationalspieler, erinnert sich vor allem an den »jüdischen Humor«, der die Atmosphäre in den Jahren der Europapokal-Triumphe, 1971, ‹72 und ‹73, prägte: »Wenn wir lachten, dann häufig über eine jüdische Art von Humor. Bei Ajax befanden wir uns im Zentrum der jüdischen Community, so brachten sie alles zu uns.« Der Ajax-Physiotherapeut Salo Muller, selbst Jude, erinnert sich, dass sich die Spieler darin gefallen hätten, »Juden zu sein, obwohl sie keine waren«.
Auch Cruyff wurde ab und an eine »jüdische Identität« nachgesagt. Im Internet erörterte beispielsweise die Seite »Jew or not Jew« die Möglichkeit seiner jüdischen Abstammung. »Wäre Cruyff ein Jude, dann würde er die Liste der größten jüdischen Sportler anführen«, heißt es da. Aber entgegen allen Gerüchten sei seine Mutter keine »Halbjüdin« gewesen und seine Frau auch keine Jüdin. So schließt »Jew or not Jew« seine Betrachtungen über Cruyff mit dem Fazit: »Sadly not a Jew.« Wohl bei keinem anderen Sportler von Weltrang wurde in jüdischen Kreisen so sehr bedauert, dass er kein Jude ist wie bei Johan Cruyff. Und so häufig diskutiert, ob er nicht wenigstens ein bisschen Jude sei.
rabbiner Andere Mutmaßungen über Cruyffs jüdische Herkunft entstanden wohl schlicht aus der Tatsache, dass er Juden zu seinen engeren Bekannten und entfernteren angeheirateten Verwandten zählte. Einer seiner engen Vertrauten, der auch in Cruyffs Management arbeitete, war Pascal Shlomo Pop, Sohn von Cruyffs Schwägerin. Pop ist orthodoxer Rabbiner und gewann 1991 bei den Europäischen Makkabi-Spielen als Karatekämpfer eine Silbermedaille.
Israel war für Cruyff immer ein wichtiges Thema. Am 17. Juli 1973 berichtete etwa die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, dass der damals 26-jährige niederländische Fußballstar eine der Galionsfiguren einer Kampagne sei, die Spenden für den Bau eines Zentrums für junge Nachwuchsfechter in der Nähe von Tel Aviv sammelte. Initiatorin der Kampagne war Ankie Spitzer, Witwe des bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München von einem palästinensischen Terrorkommando ermordeten israelischen Fechttrainers André Spitzer.
Cruyffs Popularität in Israel wurde aber vor allem durch die Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland befördert. Als die WM angepfiffen wurde, war der für »Haaretz« schreibende Fußballjournalist Uzi Dann zwölf Jahre alt. »Meine Mutter und mein Bruder waren an Fußball nicht interessiert, aber bei der WM in Deutschland war das anders. Nun fieberten sie mit den Niederlanden. Die waren die ›Guten‹. Einige Mitglieder der Familie meiner Mutter waren von den Nazis ermordet worden.«
WM 1974 Laut Uzi Dann hat niemals zuvor und nie wieder danach ein ausländisches Team eine derart massive Unterstützung seitens der israelischen Bevölkerung genossen wie die Elftal, so der Name der niederländischen Nationalmannschaft, bei der WM 1974. Und zwar nicht nur aus historischen, politischen und moralischen, sondern auch aus sportlichen Gründen: Die »Guten« waren auch auf dem Fußballfeld richtig gut. Uzi Dann: »1974 kam einfach alles zusammen. Cruyff war Niederländer und spielte für Ajax, das ein ›jüdisches Image‹ besaß. Und man wusste, dass es in seiner Familie Juden gab. So durfte man glauben, dass Cruyff wenigstens ein bisschen einer von uns sei.«
Im Vorfeld des WM-Finales, das die Niederlande letztlich gegen Deutschland 1:2 verloren, gab der Star der WM dem israelischen Fernsehen ein Interview, das die Sympathien mit der Elftal und den Niederlanden weiter nach oben schnellen ließ. Cruyff erklärte da, dass er und seine Mannschaft sich der Unterstützung in Israel bewusst seien und sie in München auch für die drei Millionen Fans in Israel spielen würden.
Beim Finale hätten dann 99 Prozent der Israelis hinter Cruyff und seinem Team gestanden. Und nach der Niederlage sei das Land in eine tiefe Depression gefallen. Uzi Dann: »Es war für uns fast wie ein Trauma.«
kino Im Frühjahr 1972 wurde vor 800 geladenen Gästen im Amsterdamer City-Kino der Film Nr. 14 – Johan Cruyff uraufgeführt. Als der Film nach der WM 1974 auch in die israelischen Kinos kam, ging Uzi Dann mit einem Freund gleich zweimal hinein: »Es gab keine Sportfilme in hebräischer Sprache. Und dieser Film war einfach zauberhaft!«
»In Israel wird Johan Cruyff als der Mann betrachtet, der Anne Frank rettete«, zitiert der britische Sportjournalist Simon Kuper den israelischen Fußballexperten und Philosophen Saggie Cohen. Manche Israelis betrachteten Johan Cruyff als »Ehrenjuden« und »Ehrenbürger« ihres Staates.
In Israel wird der Name Cruyff auch nach Johans Tod präsent bleiben. Seit 2012 arbeitet Jordi Cruyff, sein Sohn, als Manager des Erstligisten und amtierenden Meisters Maccabi Tel Aviv.