Die Nationalwahlen in Großbritannien sollten ein knappes Rennen werden, hieß es in den Meinungsumfragen vor den Wahlen. Fast hätte Ed Miliband den Regierungsauftrag bekommen können, und er wäre damit der erste jüdische britische Premierminister seit Benjamin Disraeli gewesen. Der Politiker zog aus dem Wahl-Debakel die Konsequenzen und trat am Freitagmittag zurück.
Die Konservativen haben allerdings nicht einfach nur die Wahl gewonnen, sondern auch einen Rekord erzielt: Mhairi Black, eine 20-jährige Studentin, die für die schottischen Nationalisten (SNP) kandidierte, ist nun jüngste Parlamentsabgeordnete seit dem Jahr 1667. 56 der 59 schottischen Wahlkreise entschieden sich, SNP-Kandidaten nach Westminster zu schicken, darunter auch der Glasgower Wahlkreis East Renfrewshire, in dem 41 Prozent der etwa 6500 Juden Schottlands leben.
Netanjahu Der neue SNP-Abgeordnete für den Süden Glasgows dürfte allerdings wenig jüdischen Beifall erhalten. Stewart MacDonald gab vor den Wahlen an, dass er Benjamin Netanjahu gerne vor den internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen bringen wolle, und dass seine Karriere einst mit der Kampagne für Palästina begann.
Mit solchen Ansichten löst er George Galloway ab, der seinen Sitz für seine Respect-Partei in Bradford an Labour verlor. Galloway erklärte Bradford vor einem Jahr zu einer »Israel-freien Zone«.
Auch Simon Hughes war Israel nicht gerade freundlich gesinnt. Zuletzt hatte er sich für die Einstaatenlösung für Israelis und die Palästinenser ausgesprochen. Nun verlor der Liberaldemokrat, seit 32 Jahren im Amt, seinen Sitz, genau wie die jüdische Liberaldemokratin Lynne Featherstone.
Die jüdischen Labour-Kandidaten, Luciana Berger für Liverpool und Gerald Kaufman für Manchester, werden dennoch zusammen mit Miliband Teil der neuen alten Opposition bilden. Kaufman, 85 Jahre jung, wird dabei Alterspräsident Westminsters werden.
Golders Green In den jüdischen Gegenden Londons wie Finchley, Golders Green, Hendon sowie in Hertsmere lagen die Prognosen zur »jüdischen« Wahl richtig. In diesen Wahlkreisen siegten die Konservativen, wohl dank der jüdischen Wähler. Auch der konservative und jüdische Politiker Michael Fabricant wird für die von David Cameron geführte Regierungspartei weiterhin im Unterhaus sitzen.
Cameron sagte nach dem eigenen Wahlsieg in seinem Oxforder Wahlkreis, dass heute »Victory Day« ist – der Tag, an dem die Alliierten vor 70 Jahren das nationalsozialistische Deutschland besiegten. Heute wie damals gehe es um das Beibehalten der Demokratie, betonte er.
In der vorherigen Regierung war Camerons Einsatz entscheidend für den Beschluss, ein nationales britisches Holocaustdenkmal zu errichten. Laut einer Umfrage war die Mehrzahl der jüdischen Wähler der Meinung, dass die Konservativen die Sicherheit der britischen Juden und des Staates Israel am besten vertreten würden.