Was hat ein aus Tierknochen hergestellter Würfel mit einem Schokoladenriegel oder einer schmucklosen Agenda aus dem Jahr 1993 gemeinsam? Auf den ersten Blick wenig bis gar nichts.
In ihrem Buch Jüdische Schweiz – 50 Objekte erzählen Geschichte schaffen es Naomi Lubrich und Caspar Battegay, selbst völlig schmucklose Dinge auftreten und ihre Rolle spielen zu lassen, wenn es darum geht, die Geschichte von Juden im Land zwischen Matterhorn und Bodensee zu beleuchten.
Die aus Tierknochen hergestellten Würfel: Sie sind – kaum jemand weiß das heute noch – ein Ausdruck der mittelalterlichen Diskriminierung vieler damaliger jüdischer Händler, die in Europa unterwegs waren. Sie mussten diese Würfel immer mit sich tragen – und nicht selten den Geldbetrag würfeln, den sie den Zollbeamten als eine Art Bestechungsgeld zu bezahlen hatten.
Nicht selten wurde der Betrag auf »30 Pfennig und drei Würfel« festgelegt, wie ein Dokument aus dem 16. Jahrhundert in Liechtenstein zeigt. Dies sei, so schreiben die Autoren, »eine antijüdische Demütigungsgeste« gewesen, denn sie habe auf Judas verwiesen, der angeblich Jesus für 30 Silberlinge verriet.
J-Stempel Natürlich fehlen in dem Buch auch nicht neuere Zeugnisse von Antisemitismus und Rassismus, wie der berühmte J-Stempel, dessentwegen während der NS-Zeit viele jüdische Flüchtlinge an den Schweizer Grenzen abgewiesen wurden und über dessen genaue Urheberschaft die Historiker noch immer streiten.
Oder da ist die Schreibmaschine von Otto Frank, dem Vater von Anne Frank, mit der er von Basel aus, wo er nach der Schoa mit seiner zweiten Frau Fritzi lebte, die Briefe aus aller Welt beantwortete, die ihn nach der Veröffentlichung des Tagebuches seiner Tochter erreichten.
Jüdische Schweiz zeigt jedoch durchaus auch eine andere, etwas lockerere Seite des jüdischen Lebens im Land. Da ist der »Ragusa«-Schokoladenriegel, den es in der Schweiz an jeder Ecke zu kaufen gibt und den darum auch fast jedes Kind und viele Erwachsene schätzen und lieben. Er ist, wenn man so will, eine jüdische Erfindung: 1929 gründete der Kaufmann und Schokoladenhändler Camille Bloch in Bern sein Unternehmen, das er später in den Berner Jura, also aufs Land, verlegte (wo die Firma noch heute ihren Sitz hat).
Ragusa Der Ragusa-Riegel entstand während des Zweiten Weltkriegs, als die neutrale Schweiz keinen Kakao importieren konnte und Bloch daraufhin auf die zündende Idee kam, die Schokoladenhülle mit Haselnüssen aus einer Nougatschicht zu umgeben: der Beginn einer Schweizer Erfolgsstory.
Weiter erzählt das Buch vom schmucklosen Taschenkalender der ehemaligen und bisher einzigen jüdischen Bundesrätin Ruth Dreifuss aus dem Jahr 1993. Als die engagierte Genfer Sozialdemokratin und Gewerkschafterin den Kalender zu Beginn jenes Jahres für ihre persönlichen Einträge zu nutzen begann, ahnte sie nicht, dass sie drei Monate später Ministerin der Schweizer Regierung sein würde. Dazu kam es nach einem »Aufstand der Schweizer Frauen«, die sich in der Regierung nicht ausreichend vertreten fühlten und die Wahl einer weiteren Frau mit dem Druck der Straße möglich machten.
Fehlen darf in Lubrichs und Battegays Buch auch nicht eine Spielzeug-Boeing der britischen Billig-Airline Easyjet, die seit einigen Jahren die Schweiz und Israel verbindet. Sie hat damit die Beziehungen zwischen beiden Ländern massiv beeinflusst, vermutlich ohne es zu wollen. Denn jenseits der Politik seien die Dinge des Alltags viel wichtiger, schreiben die Autoren augenzwinkernd. Und das gelte für beide Länder: »In Tel Aviv jammert man über die fehlende Pünktlichkeit, man vermisst Mayonnaise, Käse und Bratwürste. In Zürich, Genf und Basel dagegen wird die mangelnde Offenheit der Leute und die schlechte Qualität des Hummus beklagt.«
»Die jüdische Schweiz – 50 Objekte erzählen Geschichte«. Hrsg. vom Jüdischen Museum der Schweiz. Merian, Basel 2018, 231 S., 34 €