»Tod allen Krummnasen«, »Juden ins Gas!«, »Ab in den heißen Ofen!« – Polens Internet gleicht mehr und mehr einem braunen Sumpf. Nachdem Polens Außenminister Radoslaw Sikorski vergeblich über ein Jahr lang versucht hatte, die Staatsanwälte des Landes dazu zu bringen, antisemitische Straftaten stärker zu verfolgen, zog er nun selbst vor Gericht.
Er stellte Strafantrag wegen Aufruf zum Rassenhass im Internet und verklagte auch gleich noch zivilrechtlich die Verlage Bonnier und Springer sowie deren Zeitungen Puls Biznesu und Fakt. Diese unternähmen nichts gegen die antisemitische Hetze auf ihren Internet-Kommentarseiten.
Polens Verleger, Staatsanwälte und Publizisten, aber auch große Teile der Gesellschaft waren perplex, galten antisemitische Schmierereien und Hasstiraden im Internet oder in Fußballstadien bislang doch als »gesellschaftlich wenig schädlich«. Polens Staatsanwälte und Richter schlagen rund 80 Prozent aller zur Anzeige gebrachten Fälle von »Aufstachelung zum Rassenhass« nieder oder nehmen erst gar nicht die Ermittlungen auf. Dies deckte die Gazeta Wyborcza auf.
So haben sich viele Polen daran gewöhnt, dass Fußballfans die Gegner der eigenen Mannschaft als »Judenhuren«, »Judenficker« und »jüdische Hurensöhne« bezeichnen und auch immer wieder grölen »Do gazu« – »Ins Gas!« Das hallt dann im ganzen Stadion nach und oft bis ins Stadtzentrum hinein.
»Folklore« Nur die kleine NGO »Nigdy Wiecej« (Niemals wieder) nahm den Kampf gegen die Hooligans auf. »Kickt den Rassismus aus den Stadien« fordern die engagierten jungen Leute schon seit Jahren. Doch weder die Fußballklubs, noch die Polizei oder die Staatsanwälte unterstützten die Aktion auf breiter Front.
Vielmehr wurde Fußball-Rassismus bislang gerne als »Folklore« abgetan, als Tradition, die zwar antisemitisch klinge, aber nicht antisemitisch gemeint sei. So lernt bis heute fast jedes Kind beim Spielen auf der Straße, dass zum Einmaleins des Fluchens und Beleidigens die Worte Jude, jüdisch und koscher gehören.
Auch wer ein bisschen kritischer denkt oder die Nationalmythen Polens hinterfragt, wird schnell als »Jude« gebrandmarkt. Mit der »gazeta koszerna«, der koscheren Zeitung, ist die linksliberale Gazeta Wyborcza gemeint und mit dem »Zydownik«, dem »Judenblatt«, die liberalkatholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny. Diese Zeitungen gehen offensiv gegen den Antisemitismus im Lande vor, können sich bislang aber gegen den Mainstream des Weghörens und Wegsehens nicht durchsetzen.
Sikorski und seine jüdische Frau, die amerikanische Publizistin Anne Applebaum, werden regelmäßig im Internet aufs Unflätigste beleidigt. Der Geduldsfaden riss dem Außenminister aber erst, als Staatsanwälte in Lublin und Rzeszow die Aufnahme von Ermittlungen in Fällen ablehnten, die eindeutig antisemitischen Charakter hatten.
Steinwurf So beleidigte in Lublin erst eine Professorin eine Judaistik-Dozentin als »Judenweib«, dann warf ein unbekannter Täter einen mit einem Davidstern »verzierten« Ziegelstein in die Wohnung eines engagierten Kulturmittlers.
In beiden Fällen, so die Staatsanwaltschaft, sei nicht von einem antisemitischen Hintergrund der Tat auszugehen, da weder die Dozentin noch der Kulturmittler jüdisch seien. Als Nichtjuden müssten sie sich durch antisemitische Beleidigungen nicht beleidigt fühlen. Beim Stein schließlich könne man nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob der darauf gemalte Davidstern etwas mit der Gesinnung des Täters zu tun habe.
Auch die Staatsanwaltschaft in Rzeszow winkte zunächst gelangweilt ab, als Fans mit dem Banner »Die arische Horde rückt an« ins örtliche Fußballstadion trampelten und dort antisemitische Transparente über die Tribüne hängten. Die aus dem Nazihetzblatt »Der Stürmer« stammende Riesen-Karikatur eines Juden mit Kippa und der Spruch »Tod allen Krummnasen!« ließ weder die Staatsanwälte noch die Klubmanager oder den Ordnungsdienst aktiv werden.
Zwar verhaftete die Polizei gegen Spielende etliche Hooligans, doch die Staatsanwaltschaft ließ zunächst alle wieder laufen. Erst nach der Intervention von Außenminister Sikorski beim polnischen Generalstaatsanwalt nahmen die Staatsanwälte in Rzeszow doch noch die Ermittlungen auf.
Die zwei Angeklagten erklärten übereinstimmend, dass sie zwar das Banner in der Hand gehalten hätten, ohne aber zu wissen, dass darauf die Nazi-Karikatur eines Juden zu sehen war. Aleksander Bentkowski wiederum, der Präsident des Resovia-Fußballklubs und frühere Justizminister Polens, zog die antisemitische Hetze während des Spiels ins Lächerliche. Viele hätten das für »einen Scherz« gehalten. Man solle den Zwischenfall doch einfach vergessen und wieder zur Tagesordnung übergehen.
Schlusslicht Die Tagesordnung in Polen sieht düster aus, wenn man den regelmäßigen Antisemitismus-Berichten der UNO und des Europarates Glauben schenken darf. In der Vergangenheit kam es schon einmal vor, dass der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, vehement gegen einen dieser angeblich »ungerechten« oder »verzerrenden« Berichte protestierte.
Sikorski bekommt sie regelmäßig auf den Tisch. Vor Kurzem legte nun die Friedrich-Ebert-Stiftung mit der Studie »Die Abwertung der Anderen« eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung vor. Polen schneidet dabei zusammen mit Ungarn am schlechtesten ab. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind hier weitaus stärker ausgeprägt als in den übrigen untersuchten Ländern Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Italien und Portugal.
Sikorski sieht nunmehr die einzige Chance, den braunen Sumpf in Polen allmählich trockenzulegen, in einem offensiven Kampf gegen Rassismus und Gewaltverherrlichung. Die Strategie des Wegse- hens und Weghörens hat versagt. Doch auch seine Strafanzeige lief zunächst ins Leere. Statt wegen »Aufstachelung zum Rassenhass« im Internet zu ermitteln, wie Sikorski forderte, will die Staatsanwaltschaft dem Verdacht auf »Verleumdung einer öffentlichen Person in den Medien« nachgehen.
Das polnische Strafrecht sieht dafür eine Geldbuße oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor, erklärte eine Sprecherin der Warschauer Staatsanwaltschaft. Sie spielte auf direkte Beleidigungen Sikorskis an, wie »Du Knoblauch ohne Vorhaut« oder »Wenn dir unser Kirchlein nicht gefällt, hau ab ins Scheissrael!« Sikorski will sich so schnell nicht geschlagen geben: »Es wird weitere Anzeigen und Prozesse geben.«