Rabbi Mark Goldsmith wird sentimental, wenn er über das Lichterfest spricht: »Eigentlich schreiben wir an Chanukka das Gemeinschaftliche groß. Normalerweise gäbe es Sufganiot für alle und viel Gesang.« Chanukka sei ein wichtiges Fest, bei dem es um das Überleben der Juden gehe, sagt der Rabbiner der Hendon-Reformgemeinde in London, »in diesem Jahr aber steht die Corona-Pandemie im Weg«.
Doch auf die Ratlosigkeit folgte Tatkraft – und eine Idee: Die Gemeinde will aus der Not eine Tugend machen und, frei nach Jules Verne, in acht Nächten um die Welt ziehen. Dies solle durch »Zoom«-Vorträge aus London, aber auch durch Videoschaltungen mit Gemeinden in der Ukraine, Südafrika, Israel, Brasilien und den USA geschehen, erzählt Goldsmith.
Ein Londoner Gemeindemitglied soll über seine jüdische Kindheit in Kalkutta sprechen, während eine andere Person einen Vortrag über verschiedene karibisch-sefardische Gemeinden halten wird. »Damit wollen wir versuchen, der Vielfalt der Mitglieder in unserer Gemeinde gerecht zu werden«, so Goldsmith.
FEUERKÜNSTLERIN Damit es wenigstens eine Veranstaltung geben wird, die nicht virtuell ist, plant die Gemeinde ein gemeinsames Lichterzünden auf dem Synagogenparkplatz. Zwar müssen die Besucher dabei Abstand halten, doch werden sie mit dem echten Entzünden eines Chanukkaleuchters im Freien belohnt und können über die Tricks einer Feuerkünstlerin staunen.
Rabbi Mark plant außerdem eine Fragestunde zu umweltschonender Energie: »Wir wollen uns die Frage stellen, wie wir angesichts der klimatischen Herausforderungen mit weniger Ressourcen mehr erreichen, so wie das eine Licht, das acht Tage lang brannte.«
Gerade das Sufganiot- und Latkes-Essen zur Feier sowie das Miteinander sind es, was Chanukka ausmacht.
In der großen liberalen Gemeinde in St. Johns Wood wird es Chanukka in diesem Jahr ausschließlich über Zoom geben. Rabbinerin Alexandra Wright betrübt das sehr, denn gerade das Sufganiot- und Latkes-Essen zur Feier sowie das Miteinander seien es, was Chanukka ausmache.
gäste Seit vielen Jahren hat die Gemeinde am letzten Chanukkatag Gäste eingeladen, zunächst waren es ein Pfarrer aus der Nachbarschaft, dann die Botschafter Israels und der Vereinigten Staaten, und schließlich wurde daraus ein interreligiöser Abend. »Letztes Jahr kam beispielsweise der Londoner Bischof«, erzählt Wright.
Trotz der Pandemie ist es der Gemeinde in diesem Jahr gelungen, das zu überbieten: So wird am kommenden Schabbat als Ehrengast kein Geringerer als Erzbischof Justin Welby, das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, erwartet, sowie ein Vertreter der islamischen Gemeinde, Mohamed Keshavjee. All das selbstverständlich über Zoom.
Zugeschaltet werden dieses Jahr aber auch hier Menschen aus aller Welt, wahrscheinlich sogar aus Indien und Saudi-Arabien, hofft Rabbinerin Wright. Deshalb sei es wichtig, sowohl das Judentum zu erklären, als auch es so darzustellen, dass es eine Bedeutung für alle habe.
Dies sei nicht leicht, gesteht Wright: »Chanukka ist ein jüdisches Fest, das einerseits weder in Tora noch Mischna vorkommt und nationalistisch ist. Andererseits ist es ein Fest, das sich gerade durch das Kerzenzünden und Lichtmachen mit den Feiern anderer zu dieser Jahreszeit verbindet, etwa mit dem hinduistischen Diwali oder dem christlichen Weihnachten«, erklärt sie.
Ein Rabbiner plant eine Fragestunde zu umweltschonender Energie.
Um derartiges symbolisches Lichterzünden geht es auch Rabbi Josef Sharfstein von der Chabad-Gemeinde Bushey am nördlichen Rand Londons. »Eine Kerze kann weitere Kerzen anzünden, ohne das eigene Licht zu verringern. Und diese können auf der ganzen Welt Negatives in Positives verwandeln, denn Licht wird immer über Dunkelheit siegen«, verspricht er.
Brainstorming Chanukkafeiern, die Menschen zusammenbringen, hätten bei Chabad Tradition, erzählt Sharfstein. »Normalerweise haben wir eine Menora vor einem koscheren Restaurant in Bushey mit riesigen Mengen Sufganiot und Latkes.« Aber was tun in einem Jahr der Pandemie, wo so etwas nicht möglich ist? »Uns war klar, dass es Chanukka trotz allem natürlich auch in diesem Jahr geben würde«, sagt der Rabbi. »Die Frage war nur: wie?«
Nach einem Brainstorming mit anderen Chabad-Gesandten ging Sharfstein ein Licht auf, und er hatte die Lösung: »Ein Drive-in! Das ist der sicherste Weg für alle, gemeinsam mit anderen zu feiern, zu singen und Sufganiot zu essen, die wir an der Einfahrt zu einem großen Parkplatz verteilen.«
In der Mitte werde dann ein großer Leuchter gezündet. »Außerdem soll mit speziellen Karten gespielt werden, die an alle verteilt werden. Wer die richtige Karte hat, muss hupen oder mit den Scheinwerfern blitzen«, erklärt Sharfstein.
andrang So groß ist der Andrang bei den Anmeldungen, dass der Gemeinde trotz 150 Parkplätzen bald der Platz ausging und man schnell eine zweite Veranstaltung am selben Abend einplanen musste, um alle unterzubringen. Sharfstein sagt, dass nun auch andere Chabad-Gemeinden in Großbritannien ähnliche Drive-in-Abende planten.
Und was ist mit jenen, die kein Auto haben oder aus anderen Gründen Haus und Wohnung nicht verlassen können? Auch an die habe man gedacht: »Wir werden eine große Chanukkia aufs Dach eines Autos montieren und damit zu verschiedenen Adressen fahren, sodass alle Interessierten an der Simcha teilnehmen können«, sagt Sharfstein und lächelt zufrieden.