Seit fast drei Jahren sieht das Leben auf der Krim anders aus. Im Frühjahr 2014 besetzte Russland die ukrainische Halbinsel am Schwarzen Meer. Am 16. März wurde ein gesetzwidriges Referendum durchgeführt, das die Spaltung der Halbinsel von der Ukraine festigte. Zwei Tage später wurde die Krim offiziell ein Teil Russlands. Wie vor drei Jahren schafft Russland heute immer noch ganz schnell Fakten auf der Schwarzmeerhalbinsel. Aus ukrainischen Zeiten ist nur wenig geblieben, die Verbindung zwischen der Ukraine und der Krim wird immer geringer.
»Unser Leben ist nicht schlechter, aber komplizierter geworden«, fasst Elena Koschewnikowa, eine 46-jährige Jüdin aus Jalta, die Veränderungen zusammen, die ihre Familie seit der russischen Annexion der Krim erlebt.
Für Koschewnikowa machen sich diese Veränderungen gleich auf mehreren Gebieten bemerkbar. Zum einen leitet sie ein kleines Reisebüro – und die Tourismusbranche der Krim befindet sich in einer Krise. »Der Rückgang der Touristen ist zwar nicht so groß, wie es manche in der Ukraine befürchtet haben«, sagt Koschewnikowa, »doch der Unterschied ist spürbar. Denn früher kamen die meisten Besucher vom ukrainischen Festland – und die bleiben nun meist aus.«
Festland Eine direkte Bus- und Zugverbindung mit dem ukrainischen Festland gibt es seit Dezember 2014 nicht mehr, was für Koschewnikowa nicht nur Geschäftsprobleme bringt. Ihr Sohn lebt seit fünf Jahren in Österreich. Weil die EU die annektierte Krim nicht als Teil Russlands anerkennt, muss Elena Koschewnikowa ihr Visum in Kiew beantragen und von dort aus nach Wien fliegen.
»Ich kriege das schon hin, aber es nervt gewaltig«, sagt Koschewnikowa. »Früher dauerte der Flug von Simferopol nach Kiew kaum eine Stunde. Heute gibt es nicht einmal direkte Bahnverbindungen.« Dazu kommen alltägliche Probleme wie Stromausfälle oder überteuerte Lebensmittel.
Ob Koschewnikowa nach drei Jahren für Russland oder eher für die Ukraine steht? »Die Frage stelle ich mir nicht«, sagt sie. »Für uns Juden hat sich wenig verändert. Die Gemeinde ist durch die politischen Unruhen stärker zusammengerückt, nur ganz wenige von uns haben die Krim verlassen.«
Doch wirklich optimistisch blickt Koschewnikowa nicht auf die Zukunft der Krim: »Klar ist, dass wir auf internationaler Ebene noch lange isoliert bleiben werden – sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Die Krim wird weder morgen noch übermorgen als russisch anerkannt werden. Und es ist immer unangenehm, in einer Grauzone zu leben.«
alltag »Im Alltagsleben hat sich für die Juden tatsächlich nichts verändert«, meint Jan Epstejn, Vorsitzender des Kongresses der Juden der Krim. Der gebürtige Simferopoler, der sich als Unternehmer mit erneuerbaren Energien beschäftigt, ist seit Jahren die wichtigste Person im jüdischen Leben der Krim. 2013 wurde er zum ersten Ehrenkonsul Israels im postsowjetischen Raum ernannt, gleichzeitig eröffnete damals die israelische Vertretung in der Hauptstadt Simferopol. Ende 2014 musste das Konsulat wieder schließen, denn wie der Großteil der Weltgemeinschaft erkennt auch Israel die Krim nicht als russisch an.
Epstejn teilt die Meinung, die jüdische Gemeinde der Krim sei in den vergangenen Jahren stärker zusammengerückt. »Früher war das jüdische Leben der Halbinsel zwar ebenfalls präsent, doch jede Organisation ging irgendwie ihren eigenen Weg.«
Nach der Annexion haben die jüdischen Organisationen der Krim beschlossen, sich zu einem gemeinsamen Kongress zu vereinen. Zu dessen Vorsitzenden wählten die Delegierten Epstejn. »Auf der Gründungskonferenz habe ich die Anwesenden gefragt, ob wir alle mit unseren großen Unterschieden jemals an einem Tisch gesessen haben. Auch die Kollegen meinten, das war das erste Mal überhaupt«, betont Epstejn.
Rabbiner Während Funktionäre wie Epstejn auch nach der russischen Übernahme auf der Krim blieben, ging Michail Kapustin, der Rabbiner der liberalen Gemeinde, einen anderen Weg. Kapustin wollte die Annexion nicht hinnehmen und verließ die Krim am Tag des umstrittenen Referendums. Mittlerweile amtiert er in der Slowakei. Kapustin, der sieben Jahre in Simferopol verbrachte, ist der einzige führende Vertreter des Krim-Judentums, der aus politischer Überzeugung weggegangen ist.
»Es gab durchaus Leute, die für ein, zwei Monate weggefahren sind. Schließlich sah die damalige Lage echt gefährlich aus«, betont Epstejn. »Die meisten sind aber schnell zurückgekehrt.« Laut Epstejn ist auch die Zahl derjenigen, die nach Israel auswandern wollen, nicht besonders gestiegen. »Im ersten Jahr haben etwa 500 nachgefragt. Das sind ähnlich viele wie vorher«, sagt er. »Es wird immer Menschen geben, die Alija machen wollen. Ich für meinen Teil werde die Krim erst verlassen, wenn der letzte Jude weg ist.«
Die politische Auseinandersetzung rund um die Krim hatte für die jüdische Gemeinde jedoch weitere Folgen, unter anderem auch finanzielle. So stellte der Rückzug der größten Bank der Ukraine von der Halbinsel die Existenz von Ner Tomid, der Gemeinde des Progressiven Judentums der Krim, infrage. Die Bank, die bis Dezember 2016 dem ukrainisch-jüdischen Oligarchen Igor Kolomoisky gehörte, sperrte die Konten aller Bewohner der Krim unmittelbar nach der russischen Annexion – doch das Konto von Ner Tomid wurde nicht nur gesperrt, sondern das ganze Geld war auf einmal verschwunden. »Es war keine große Summe, wir sind ja nicht reich«, sagt der Gemeindevorsitzende Anatolij Gendin, »aber ohne dieses Geld konnten wir nicht einmal die Stromrechnungen bezahlen.«
bank Noch im Februar 2014, wenige Wochen vor dem Referendum, habe Gendin mit Boris Finkelstejn gesprochen, dem früheren Krim-Chef der Bank. »Er versicherte uns, dass wir uns keine Sorgen um unser Geld machen müssen«, sagt Gendin. Doch es kam anders: Am 28. Mai 2014 wurde der Gemeinde mitgeteilt, dass die ganze Summe von seinem Konto abgezogen worden ist. »So sind mehr als 37.000 Griwna (rund 1300 Euro) einfach in die Hände der Privatbank gelangt«, klagt der 73-Jährige.
Neben Ner Tomid ist Anatolij Gendin mittlerweile Vorsitzender der »National-kulturellen Autonomie der Juden auf der Krim«. Solche Autonomien haben die meisten Minderheiten der Halbinsel nach der Annexion mit staatlicher Hilfe Russlands gegründet. Als Gegenleistung sollen sie versuchen, durch ihre Kontakte ins Ausland die internationale Anerkennung der Krim als Teil Russlands zu beschleunigen. »Wir sind in Russland angekommen. Wir haben die russische Währung und konsumieren russische Lebensmittel, russische Regionen helfen uns, so gut sie es können. Die Haushaltsbilanz der Krim hat sich deutlich verbessert. Das alles wollen wir auch nach außen vermitteln«, betont Gendin, der anders als Epstejn für seine prorussische Haltung bekannt ist.
Offizielle Kontakte mit Israel gibt es allerdings nicht. »Die kann es aus verständlichen Gründen nicht geben«, erklärt Gendin. »Doch informelle Kontakte bestehen durchaus. Wir wollen sie aber nicht öffentlich machen, denn sonst kriegen unsere Freunde in Israel Probleme. Als eine Gruppe israelischer Abgeordneter im vergangenen Jahr die Krim besuchte, war die Empörung nämlich riesengroß.«
jewish agency Auch die Jewish Agency setzt ihre Arbeit auf der Krim fort, und Gendins Gemeinde wird nach wie vor zum Teil von der Weltunion für Progressives Judentum finanziert. »Das geht über New York, Jerusalem und Moskau. Früher sah es genauso aus, nur mit Kiew statt Moskau«, sagt Gendin. »Eine Schwierigkeit ist jedoch, dass es für unsere Freunde im Westen nahezu unmöglich ist, Geld an uns zu überweisen. Denn die Banken der Krim leiden unter Sanktionen«, ergänzt er.
Auch Jan Epstejn klagt darüber, dass alles so kompliziert geworden ist. »Früher konnten wir zweimal pro Woche von Simferopol aus direkt nach Israel fliegen. Nun geht das nur noch über Moskau. Wir hoffen, dass sich das bald ändert.«
Wie Gendin glaubt auch Epstejn, dass das Verhältnis zwischen der Krim und Israel nicht so sehr leidet, wie es auf den ersten Blick erscheint. »Dass wir keine politischen und diplomatischen Beziehungen haben können, ist bei Weitem nicht das Ende. Kontakte gibt es trotzdem. Außerdem sind viele israelische Unternehmer auf der Krim als Privatpersonen aktiv.«
Zukunft Trotz ihrer Bedeutung will sich die jüdische Gemeinde aus der politischen Auseinandersetzung unbedingt heraushalten. Man gibt sich zurückhaltend, wenn es um die Zukunft der Halbinsel geht. »Uns ist klar, dass die Krim generell in eine schwierige Situation geraten ist. Uns geht es aber vor allem um die Juden auf der Krim – und natürlich auch um andere Menschen, die ein ordentliches Leben verdienen. Dafür kämpfen wir«, sagt Epstejn.
Doch es überrascht kaum, dass die Juden der Krim heute nach außen nicht mehr so stark präsent sind wie früher. Sowohl der Kongress der Juden der Krim als auch die National-kulturelle Autonomie sind vorrangig mit geschichtlichen Projekten beschäftigt, die nach eigenen Angaben seit der Annexion leichter umzusetzen sind. Auch der Antisemitismus hat laut Epstejn seit 2014 nicht zugenommen. »Es kann sein, dass es vereinzelte Vorfälle gibt. Aber die Gesamtsituation ist friedlich – genauso friedlich wie vor März 2014.« Der Unterschied zu Sowjetzeiten aber sei riesig.
»Die Krim muss noch viel lernen – auch, wie man mit föderalem Geld aus Russland am besten umgeht. Aber wir sind auf gutem Wege«, glaubt Anatolij Gendin. Nicht alle auf der Krim sind damit einverstanden, schließlich ist das Leben in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Doch eines scheint offensichtlich: Den Weg zurück in die Ukraine gibt es in absehbarer Zeit nicht. Und wenn die Kertsch-Brücke, die die Schwarzmeerhalbinsel mit dem russischen Festland verbinden soll, bis 2019 tatsächlich gebaut wird, dann wird die Krim mit der Ukraine fast gar nichts mehr verbinden. Damit müssen dann auch die Juden der Halbinsel leben.