Alles riecht ganz neu. Ron van der Wieken zieht die Luft ein und lässt den Blick schweifen durch das weite Foyer und den großzügigen Festsaal mit den hohen Decken, der in schlichtem, aber feierlichem Hellgrau gehalten ist. Durch die Fenster sieht man noch die Bagger, die draußen mit der Anlage des Weges beschäftigt sind, damit auch die Umgebung des dreistöckigen Gebäudes bald so aussieht wie auf den Entwürfen. Eröffnet wurde die neue Synagoge der Liberaal Joodse Gemeente Amsterdams bereits vor einigen Wochen, gerade rechtzeitig vor den Hohen Feiertagen. Und das, so Präsident van der Wieken, war »absolut beabsichtigt«.
vorgeschichte Anderthalb Jahre hat der Bauprozess gedauert. Doch Diskussionen darüber gab es in der Gemeinde, die mit 1.700 Mitgliedern die größte liberale der Niederlande ist, schon seit mehr als zehn Jahren. Die alte Synagoge, nur wenige hundert Meter entfernt am südlichen Stadtrand Amsterdams gelegen, bot zu wenig Platz für Unterricht.
Im neuen Gebäude stehen in den oberen Etagen Räume für 160 Kinder zur Verfügung. Allerdings sahen längst nicht alle Mitglieder die Notwendigkeit eines neuen Gemeinschaftszentrums. Doch heute, sagt Ron van der Wieken, sei »die übergroße Mehrheit« sehr zufrieden.
Ein Prunkstück ist der offene Kiddusch-Saal im ersten Stock, der wie schon im alten Gebäude nach Anne Frank benannt ist. Ihr Porträt hängt an der Stirnseite, daneben eröffnet eine Fensterfront eine bemerkenswerte Aussicht auf einen Wasserlauf und hohe Bäume. Bequeme, breite Sofas laden dazu ein, länger zu verweilen, der gepflegte Smalltalk zum Schabbat lässt sich an legeren Tischgruppen in hellem Beige bestens betreiben. Gegenüber finden sich Lesetische und die Bibliothek.
demokratisch Die Synagoge, das Herz des Gemeindezentrums, ist ein eleganter Bau, fast vollständig in dezentem, hellem Holz gehalten, das eine warme Atmosphäre ausstrahlt. Zwei Emporen in luftiger Höhe bieten zusätzlich Platz. Die Gemeinde war bei der Planung sehr aktiv beteiligt, sagt Präsident van der Wieken nicht ohne ein Lächeln. »Wir haben ziemlich flache Hierarchien, deshalb hat eigentlich fast jeder mitgeredet.«
Was Rabbiner Menno ten Brink besonders freut, ist der Eingangsbereich der Synagoge. Die Doppeltür ist mit Blattgold überzogen. »Sie steht für die goldene Pforte des Tempels in Jerusalem, durch die der Messias kommt.« Umgeben ist sie von sternförmig angelegten Backsteinen in Grau-, Braun- und Ockertönen, die aus den Mauern der alten, 1966 errichteten Synagoge stammen. Wichtiger als der dreidimensionale Effekt aber ist die Symbolik. Die Steine, so der Rabbiner, »sind ein Symbol für die Gemeindemitglieder, die die alte Synagoge aufbauten. Eine Erinnerung an die vorige Generation und an die Schoa.«
selbstbild Ron van der Wieken erläutert, dass der Neubau durchaus auch mit einem veränderten Selbstbild zu tun hat. »Die alte Synagoge war eine Burg. Wir waren noch damit beschäftigt, uns vom Krieg zu erholen. Das ist nun vorbei, wir wollen nach außen treten. Dem Neubau liegt der Gedanke zugrunde, dass alles offen und transparent sein soll. Und so fühlen wir uns auch.« Ein Ausdruck dessen ist das Zentrum für interreligiösen Dialog im Erdgeschoss, das ebenfalls schon eingeweiht wurde.
Das neue Zuhause der Gemeinde spiegelt auch die Vielfalt in den eigenen Reihen wider. Mehr und mehr kulturelle Aktivitäten finden darin statt: Konzerte, Lesungen, ein Tangokurs, Salsastunden, israelische Tänze. Beleg dafür, dass sich, so der Präsident, hier auch viele agnostische Gemeindemitglieder zu Hause fühlen.
Auf der anderen Seite findet sich am Ende eines kleinen Ganges im Erdgeschoss eine Mikwe – zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeinde. »Innerhalb des liberalen Judentums sind wir eher konservativ. Und die Mikwe ist sicher ein Zeichen dafür«, erläutert Ron van der Wieken. »Einige ältere Gemeindemitglieder fanden es unnötig, hier ein rituelles Bad zu haben. Aber irgendwie war es an der Zeit dafür.«