Schon wieder Schweden. So dachten viele, als Måns Zelmerlöw vergangenes Jahr in Wien den sechsten Sieg der Skandinavier beim Eurovision Song Contest (ESC) holte. Erst 2013 hatte die größte Fernseh-Unterhaltungsshow der Welt im südschwedischen Malmö Station gemacht. Am 10., 12. und 14. Mai ist nun die Hauptstadt Stockholm Gastgeberin des diesjährigen Liederwettstreits. 42 Länder nehmen teil, und die Chancen, dass am Ende ein Israeli die Siegertrophäe aus original schwedischem Kristall in die Höhe recken wird, stehen nicht schlecht.
Genau genommen dürfen sich in diesem Jahr zwei Israelis Hoffnung machen: Hovi Star (29), der mit der Powerballade »Made of Stars« für Israel antritt, und Amir Haddad (31) mit seinem Gute-Laune-Popsong »J’ai cherché« für Frankreich. Letzteren sehen die Buchmacher kurz vor Beginn des Wettbewerbs auf dem zweiten Platz, Hovi Star liegt bislang im vorderen Mittelfeld.
Performance Alles wird wie immer auf die Performance des Abends ankommen. So wie bei Nadav Guedj, der 2015 in Wien einen respektablen neunten Platz für Israel ersang. Frankreich hingegen durchlebte 39 Jahre nach seinem letzten ESC-Sieg zuletzt eine Demütigung nach der anderen. Dass die Grande Schlager-Nation bei dieser Veranstaltung nicht punkten konnte, hat viel damit zu tun, »dass es um Schlager eben nicht mehr geht«, sagt Christer Björkman, der Show-Produzent des Schwedischen Fernsehsenders SVT. »Hier geht es um moderne Popmusik, vorgetragen von jungen Talenten aus ganz Europa.«
Talentiert sind die beiden Israelis im Wettbewerb jedenfalls. Hovi Star aus Kiryat Ata (mit bürgerlichem Namen heißt er Hovi Sekulets) gewann im März den israelischen Vorentscheid, nachdem er zuvor bei der Castingshow Kochav Nolad (»Ein Star wird geboren«) mitgemacht hatte. An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht. »Ich könnte über alles ein Lied schreiben, und es würde ein Hit«, sagt er über sich. Sein Talent wird er im Halbfinale am Donnerstag beweisen können, wo Israel sich fürs Finale erst noch qualifizieren muss.
Zahnarzt Automatisch qualifiziert fürs Finale sind Gastgeber Schweden und die sogenannten Big Five – also Großbritannien, Italien, Spanien, Deutschland und Frankreich. Und im Gegensatz zu früher setzte das französische Fernsehen dieses Mal in einer internen Auswahl auf ein echtes Talent. Amir Haddad geht sein Beitrag »J’ai cherché« so leicht von den Lippen, als hätte er nie etwas anderes gemacht als Popmusik. Geboren und aufgewachsen in Paris, wanderte er mit seiner Familie – marokkanische und tunesische Juden – als Kind nach Israel aus. Dort nahm er ebenfalls an Kochav Nolad teil, allerdings erfolglos. Doch das konnte den gelernten Kieferchirurgen nicht von seiner Leidenschaft, der Musik, abhalten. Haddad ging zurück nach Frankreich und belegte prompt den dritten Platz in der französischen Version von The Voice. Seitdem macht er professionell Musik.
Dass ein Israeli, ein Jude, ausgerechnet in Schweden gewinnen könnte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn eine übertrieben pro-jüdische oder pro-israelische Haltung kann man Schweden nicht nachsagen. Antizionismus ist Pflicht in einem Land, dessen rot-grüne Regierung als erste Amtshandlung vor knapp zwei Jahren Palästina als Staat anerkannte.
Fahnen Umso mehr Aufsehen erregte nun eine versehentlich an die Öffentlichkeit gelangte Liste der Stockholmer ESC-Veranstalter, in der festlegt wird, welche Fahnen die Fans in der Halle schwenken dürfen und welche nicht. Zur Entrüstung der schwedischen Öffentlichkeit – und der palästinensischen Botschafterin in Stockholm – fand sich auf der Verbotsliste auch die Flagge Palästinas, neben der selbst ernannten Republik Donezk, dem Islamischen Staat und anderen nicht anerkannten Ländern.
»Wir erwarten eine offizielle Entschuldigung der Europäischen Rundfunkunion«, erklärte die palästinensische Botschafterin in Stockholm, Hala Husni Fariz, sichtlich gekränkt. Bislang galt in der schwedischen Öffentlichkeit das Zurschaustellen der israelischen Fahne als Provokation. Nun also soll man beim ESC keine Palästina-Fahne schwenken dürfen? Auch in den schwedischen Medien zeigt man sich mehrheitlich empört über diesen »Fehlgriff« der Veranstalter.
Dabei sind die Regeln bei diesem Wettbewerb ganz klar. Gezeigt werden dürfen nur Symbole jener Länder, die Vollmitglieder der Vereinten Nation sind – zudem die Europa- und die Regenbogenflagge der bei diesem Wettbewerb nicht unerheblichen schwul-lesbischen Community.
Denn offiziell ist der ESC eine nicht-politische Veranstaltung, was natürlich in der Praxis nie zutraf. So wird es denn auch interessant sein, wie sich gerade die beiden Israelis vor 10.000 Zuschauern in der Veranstaltungshalle »Globen« sowie vor geschätzt 100 Millionen Fernsehzuschauern schlagen werden.
Mit Sympathiepunkten haben israelische Vertreter bei diesem Wettbewerb selten rechnen dürfen. Dennoch könnte es am Ende heißen: Nächstes Jahr in Jerusalem. Oder in Paris.