Daniel Müller (Name von der Red. geändert) beißt herzhaft in seinen Burger – den hat er eben bei einem fliegenden Händler in der Basler Innenstadt gekauft. Der Burger enthält allerdings kein Fleisch und auch kein vegetarisches Tofu oder Soja, sondern: Heuschrecken. Dass dieses Insekt auf der Speisekarte steht, hat Daniel Müller im doppelten Wortsinn nicht abgeschreckt, im Gegenteil. Ihn, der eine aus Israel stammende Mutter hat, erinnert der Geschmack der Heuschrecke an Falafel, wie er sagt: »Ein ganz ähnliches, fast etwas nussiges Aroma.«
Solche Szenen spielen sich neuerdings in der Schweiz immer häufiger ab. Denn seit einigen Monaten sind im Land der Import und Verkauf dreier Insektenarten erlaubt: Mehlwürmer im Larvenstadium, Grillen und Wanderheuschrecken.
Insekten Möglich gemacht hat dies die Totalrevision des Schweizer Lebensmittelrechts, das seit Mai in Bezug auf Insekten liberaler ausgestaltet ist – liberaler jedenfalls als das Recht innerhalb der Europäischen Union.
Gastronomen sind bereits auf diesen aktuellen Trend aufgesprungen und bieten »Insekten-Dinner« an. Und spätestens, als der Schweizer Großverteiler Coop im Sommer zwei Insektenprodukte, nämlich den Insekten-Burger und die Insekten-Bällchen, in sein Sortiment aufgenommen hat, ist das Thema in vieler Munde.
Andere Grossisten und Lebensmittelgeschäfte überlegen sich
ebenfalls, auf den Zug aufzuspringen. Die meisten werden aber vermutlich zuerst abwarten, ob Mehlwürmer & Co. wirklich einem echten Bedürfnis entsprechen oder nur eine Modeerscheinung sind, die rasch wieder verschwindet.
Weil die Anbieter davon ausgehen, dass sich viele potenzielle Konsumenten vor dem neuen Angebot ekeln, wird es vorläufig nicht roh, sondern nur in verarbeiteter Form verkauft.
Veganer Immerhin hat das Ganze einen durchaus ernsthaften Hintergrund: Die Welternährungsorganisation FAO nämlich glaubt, dass die proteinreichen Insekten dereinst als Fleischersatz durchaus eine Rolle spielen könnten. Strikte Vegetarier und Veganer können dem Verzehr von Insekten allerdings nichts abgewinnen.
Auch in koscheren Haushalten werden die Kleintiere wohl nie auf dem Speisezettel landen, zumindest nicht in jenen Küchen, die sich an aschkenasische Traditionen halten.
Ganz anders hingegen – und das dürfte viele überraschen – sieht es manche sefardische Tradition: Hier ist die Wanderheuschrecke nämlich teilweise durchaus ein akzeptiertes Lebensmittel. Vor allem bei den Jemeniten, die zum Teil auch in anderen Dingen eine eigene Auslegung der Halacha haben.
Die Erlaubnis, Wanderheuschrecken zu genießen, wird aus der Tora abgeleitet, wo es im 3. Buch Mose 21 heißt: »Doch das dürft ihr essen von allem fliegenden Gewürm, das auf Vieren geht; was Gelenke hat oberhalb der Hinterbeine, damit zu springen auf der Erde.« Dann nennt die Tora vier Insektenarten: den Arbe, den Solom, den Chargol und den Chagav – »je nach ihrer Art«.
Die Arbe wird heute als Wanderheuschrecke betrachtet, vier spezifische Arten gelten als koscher – aber eben nur für Sefarden. »Vor allem, weil im aschkenasischen Raum nicht klar ist, was ein Chagav ist und wie die Konstellation von Kopf und Schwanz ist, wurde es hier verboten«, erklärt der Basler Gemeinderabbiner Mosche Baumel, der sich mit der Frage auseinandergesetzt hat.
Pharao Der Grund, warum Heuschrecken, im Gegensatz zu anderen Insekten, prinzipiell als koscher gelten können, liege in den Zehn Plagen, mit denen Gott die Ägypter gestraft habe, erklärt Baumel weiter. Die jüdische Überlieferung bezeichne die biblischen Heuschreckenschwärme als eine Art »göttliche Luftwaffe«, also als kleine Vollstrecker der göttlichen Strafmaßnahmen gegen Pharao und die Ägypter. Das dürfte vermutlich auch der Grund sein, warum nur jene Heuschrecken als koscher gelten, die auch heute noch in großen Schwärmen auftreten.
Nun muss sich zeigen, ob die Schweiz reif ist für Insekten auf den Tellern. Falls ja, könnte es passieren, dass sie eines Tages auch israelische Heuschrecken importiert – mit Koscherstempel.