Der Kontrast könnte nicht größer sein: Innenpolitisch ist Emmanuel Macron angeschlagen wie nie, seine Minderheitsregierung droht über die Abstimmung zum Haushalt zu stürzen, prominente Abgeordnete aus verschiedenen Lagern fordern seinen Rücktritt. International dagegen erscheint der französische Präsident als großer Vermittler. Frankreich soll eine Schlüsselrolle im Aushandeln der Waffenruhe zwischen Israel und dem Libanon gespielt haben.
Internationalen Medienberichten zufolge soll Frankreich bei den Verhandlungen ein wertvolles Faustpfand geboten haben: eine mögliche Immunität für Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant – angesichts der Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag eine brisante Offerte.
Die Chronologie erscheint delikat. Am Donnerstag, 21. November, erließ der IStGH seine Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der Kriegsführung Israels im Gazastreifen. Zeitgleich wirkten Frankreich und die Vereinigten Staaten im Hintergrund darauf hin, dass im Libanon eine Feuerpause zustande kommt.
Netanjahu reagiert verschnupft
Frankreich antwortete prompt auf die Nachricht aus Den Haag: Außenminister Jean-Noël Barrot verkündete, Paris werde sich an die völkerrechtlichen Verpflichtungen halten. Offen ließ er allerdings, ob dem israelischen Ministerpräsidenten eine Verhaftung drohe, wenn er französischen Boden betritt.
Laut der israelischen Tageszeitung »Maariv« reagierte Netanjahu verschnupft auf die Äußerungen aus Paris. Er soll damit gedroht haben, die französischen Vertreter von den Verhandlungen über eine Feuerpause auszuschließen. Der Libanon jedoch, der historisch eine enge Verbindung mit Paris pflegt, habe auf die Teilnahme Frankreichs bestanden. Wie die Tageszeitung »Haaretz« berichtet, stellte Israel gegenüber den französischen Diplomaten dafür eine entscheidende Bedingung: eine Immunität vor dem Haftbefehl aus Den Haag. Daraufhin habe Frankreich eingelenkt.
Tatsächlich sprach Außenminister Barrot nur wenige Stunden nach dem Beschluss der Waffenruhe am 27. November von möglichen »Fragen der Immunität« für »gewisse führende Politiker«, gegen die ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs aussteht. Später erklärte das französische Außenministerium, dass der israelische Premier und andere Minister »Immunität« genießen, die »in Betracht gezogen werden muss, falls der IStGH von uns ihre Verhaftung und Auslieferung fordert«.
Innenpolitisch führte diese Positionierung jedoch zu Verwerfungen.
»Wir reißen die internationale Justiz und das multilaterale System, das wir über Jahrzehnte geduldig aufgebaut haben, mit in den Abgrund«, kritisierte Marine Tondelier, Generalsekretärin der Grünen. Auch Olivier Faure, Vorsitzender der Sozialisten, wählte deutliche Worte: »Frankreich darf nur einen einzigen Kompass haben: das Völkerrecht.« Und Jean-Luc Mélenchon, Chef der linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI) sowie ein erklärter Gegner Israels, sagte am Freitagabend: »Wir sind kein Zufluchtsort für Kriminelle.«
Immunität vs. Römisches Statut
Innenpolitisch führte die diplomatische Positionierung zu Verwerfungen.
Die Argumentation des französischen Außenministeriums gilt juristisch als umstritten. Tatsächlich genießen Staatschefs Immunität im Ausland; sie können nicht in einem anderen Land verhaftet und von dessen Gerichten verurteilt werden. Allerdings hat Frankreich im Jahr 1998 das Römische Statut unterzeichnet, gemeinsam mit 123 anderen Staaten. Es verpflichtet sich damit zur Verhaftung und Auslieferung von Personen, die vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht werden.
Gilt dieses Gebot auch gegenüber Politikern, deren Staaten den IGH nicht anerkennen – etwa Israel? Darüber wird gestritten, in Frankreich wie in Deutschland.
In Frankreich kommt die innenpolitische Debatte zu einem denkbar sensiblen Zeitpunkt. Die Nationalversammlung ringt seit Monaten um den Haushalt; es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Opposition die Minderheitsregierung von Premier Michel Barnier noch am Mittwoch durch ein Misstrauensvotum stürzt.
Debatte, ein Gesetz gegen »Terrorverherrlichung« aus dem Jahr 2014 abzuschaffen
Zugleich debattieren die Abgeordneten darüber, ein Gesetz gegen »Terrorverherrlichung« aus dem Jahr 2014 abzuschaffen. Die Linkspartei La France insoumise hatte einen entsprechenden Antrag eingebracht. Das Gesetz verbietet den Aufruf zu terroristischen Taten sowie deren öffentliche Billigung.
LFI-Vertreter fordern, zu den Richtlinien des Gesetzes über die Pressefreiheit von 1881 zurückzukehren; darunter fällt auch der Aufruf zu Straftaten und Terrorismus. Der Tatbestand der »Terrorverherrlichung« würde damit vom Strafrecht wieder zurück ins Presserecht überführt. Die anderen Parteien reagierten heftig: Innenminister Bruno Retailleau, ein konservativer Hardliner, nannte den Vorschlag »schändlich«. Selbst der Sozialist Olivier Faure, dessen Partei mit LFI eine Wahlallianz bildet, distanzierte sich davon.
Das Gesetz wurde 2014 eingeführt, um härter gegen islamistische Propaganda vorzugehen. Seine Anwendung ist durchaus umstritten: Juristisch hat der Tatbestand Unschärfen, die Zahl der Anklagen hat massiv zugenommen – insbesondere seit dem 7. Oktober 2023.
So wurde im April 2024 ein Gewerkschaftsvertreter in erster Instanz zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt, weil er ein Flugblatt zur Unterstützung Palästinas verantwortet hatte. »Die Schrecken der illegalen Besetzung haben sich angehäuft«, stand darin geschrieben. Seit dem 7. Oktober erhielten sie »die Antworten, die sie provoziert haben«.
Rechtfertigung des Terrors
Der Richter deutete dies als indirekte Rechtfertigung des Terrors der Hamas. Auch gegen prominente Figuren der France insoumise wurde in der Vergangenheit nach vergleichbaren Äußerungen zum Nahostkonflikt wegen »Terrorverherrlichung« ermittelt.
Nicht zuletzt wird also verhandelt, wo die Grenzen zwischen Kritik an der Politik Israels und einer – zumindest impliziten – Billigung des Terrors der Hamas verlaufen. Der Antrag der Linkspartei La France insoumise hat indes kaum Aussichten, in der Nationalversammlung eine Mehrheit zu finden. Während Frankreich international vermittelt, bleibt das Land innerlich zerrissen, auch in seiner Haltung zu Israel.