USA

Die sonderbare Evolution von J.D. Vance

J.D. Vance, der republikanische Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Es ist noch nicht lange her, da beschrieb J.D. Vance Verschwörungstheorien als fiebrige Fantasien von »Verrückten, die über jede Art von Idiotie schreiben«. Das war, bevor er ein aufsteigender Stern wurde. Seitdem hat der Senator aus dem US-Staat Ohio und Vizepräsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei erklärt, dass die Regierung in Washington bewusst die Droge Fentanyl ins Land gelassen habe, um konservative und ländliche Wähler umzubringen.

Er pries Alex Jones, einen bekannten Verschwörungstheoretiker, der das Blutbad in der Sandy-Hook-Schule 2012 mit 20 toten Kindern als eine Erfindung bezeichnet hat. Und er übernahm die völlig unbegründete Behauptung von Donald Trump, ihm sei der Wahlsieg 2020 durch Betrug gestohlen worden. Als bislang jüngstes Beispiel machte sich Vance die absurde Darstellung zu eigen, dass haitianische Immigranten in Springfield (Ohio) Haustiere entführten und verspeisten.

Langjährige republikanische Strategen und andere Experten sagen, dass sich Vances Evolution in Sachen Verschwörungstheorien auf sein Bestreben zurückführen lasse, in Trumps Republikanischer Partei voranzukommen. Der Ex-Präsident selbst hat eine lange Geschichte unbegründeter Behauptungen: Barack Obama sei in Kenia geboren, Ärzte führten »Abtreibungen nach der Geburt« aus, Windturbinen lösten Krebs aus und Wahlen könne nicht getraut werden - das sind nur einige Beispiele von vielen.

»Völlig neu erfunden«

Vance habe sich selbst »völlig neu erfunden«, sagt Joseph Uscinski, ein Professor an der University of Miami und Experte in der Geschichte von Verschwörungstheorien. Noch vor 20, 30 Jahren wäre Vance wahrscheinlich als »ein Verrückter« betrachtet worden, aber jetzt, angesichts dessen, was Trump mit der Partei getan habe, »ist das sozusagen nicht anders zu erwarten«.

Tatsächlich scheint das Zurückweisen von Verschwörungstheorien kein Rezept für Wahlerfolg zu sein. Mike Pence und Liz Cheney sind Beispiele dafür, was mit jenen geschehen kann, die das wagen. Trumps früherer Vizepräsident weigerte sich, den Intrigen zum Kippen des Wahlergebnisses 2020 zu folgen, was praktisch seinen Flop bei den republikanischen Vorwahlen 2020 garantierte.

Die seinerzeitige Kongressabgeordnete Cheney geriet auf die Abschussliste von Trump und dessen Verbündeten, weil sie maßgeblich an der Repräsentantenhaus-Untersuchung seiner Rolle beim Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 beteiligt war. Sie verlor bei den nächsten republikanischen Kongress-Vorwahlen gegen eine von Trump unterstützte Kandidatin.

Unbegründete Behauptungen

Ein Sprecher des Vance-Wahlkampfteams sagte, dass die Demokraten manche seiner Äußerungen verzerrt dargestellt hätten, er aber ansonsten zu vielen seiner Behauptungen stehe - einschließlich der über Katzen und Hunde essende Haitianer. Der potenzielle nächste US-Vizepräsident selbst gab kürzlich zu verstehen, dass es ihm nichts ausmache, unbegründete Behauptungen zu verbreiten, wenn diese die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenkten. 

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»Wenn ich Geschichten erschaffen muss, damit die amerikanischen Medien dem Leiden des amerikanischen Volkes wirklich Aufmerksamkeit widmen, dann werde ich das tun«, sagte er dem Sender CNN. Seine Behauptungen über entführte Haustiere hätten beispielsweise dabei geholfen, die Probleme der Immigration in den »Fokus« der Medien zu rücken.

Vances einstige Charakterisierung von Verschwörungstheoretikern als Verrückte sind in seinen 2016 erschienenen Bestseller-Memoiren »Hillbilly Elegy« enthalten, die sich mit den Problemen im ländlichen Amerika beschäftigen. Bereits zuvor hatte der heute 40-Jährige in Gesprächen mit Freunden ähnliche Gedanken geäußert.

»Verrückte Dinge«

Cullen Tiernan, war 2005 und 2006 mit Vance als Marineinfanterist im Irak eingesetzt. Wie er schildert, wies sein Kamerad damals routinemäßig Verschwörungstheorien zurück, die in Diskussionen aufkamen - einschließlich einer, die besagte, dass die US-Regierung hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 gesteckt habe.

Ein Blick in Vances veröffentlichte Arbeiten und Reden zeigt, dass er zum ersten Mal selbst in den Sumpf der Verschwörungstheorien eintauchte, nachdem er 2021 seine Kandidatur für einen offenen Sitz im US-Senat verkündet hatte. Er verteidigte Jones im selben Jahr in einer Rede, erklärte, »an verrückte Dinge zu glauben«, sei »nicht der Maßstab dafür, ob man jemanden zurückweisen sollte«.

Ein Sprecher des Vance-Wahlkampfteams sagte der Nachrichtenagentur AP, das der Vizekandidat nicht mit Jones übereinstimme, was dessen Bemerkung über das Schulmassaker betreffe.

Entführte Kinder in Pizzarias

Nach dem Sturm auf das Kapitol hat der Senator wiederholt den Ernst dieses Aufstandes in Frage gestellt. Mehrfach wiederholte er Trumps Behauptung, dass zu Haft verurteilte Teilnehmer an der Kapitolerstürmung »politische Gefangene« seien. Vance schrieb zudem einen wohlwollenden Klappentext für ein im Juli erschienenes Buch von Jack Posobiec, einem politischen Funktionär, der vielleicht am besten für die Verbreitung der »Pizzagate«-Theorie bekannt ist - die Demokraten beschuldigte, Pädophile zu sein, die entführte Kinder in Pizzarias festhielten.

Und der Vizekandidat zählt zu den Förderern der Verschwörungstheorie des »Großen Austausches«, die besagt, dass Demokraten versuchten, Immigranten zu benutzen, um weiße Amerikaner zu ersetzen und dadurch die Kontrolle über die Nation zu erhalten.

Viele  Anhänger der in Antisemitismus und Rassismus verwurzelten Theorie behaupten, dass die angebliche Verschwörung von mächtigen Juden wie George Soros, dem jüdischen Banker, Milliardär und Megaspender für progressive Zwecke, sowie anderen »Globalisten« und »Eliten« orchestriert werde. »Wir haben eine Invasion in diesem Land, weil sehr mächtige Leute auf Grund dieser reicher und mächtiger werden«, sagte Vance 2022 in einer Fox-News-Sendung. »Es ist böse.« 

Vor noch nicht langer Zeit hätten bedeutende Kandidaten solche Theorien zurückgewiesen, und sei es auch nur aus Furcht, dass Wähler sie als rassistisch oder antisemitisch einstuften, so Amy Spitalnick vom Jewish Council for Public Affairs. Das sei nicht länger der Fall. »Es wird zunehmend standesgemäß.«

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