Herr Shai, Sie sind Abgeordneter der Knesset und sitzen für Israel als Beobachter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Dort haben Sie am Dienstag im Sozialausschuss einen Film über die Beschneidung gezeigt. Wie kam es dazu?
Die Parlamentarische Versammlung hat im Oktober eine Resolution gegen die rituelle Beschneidung verabschiedet. Darin empfiehlt sie ihren 47 Mitgliedstaaten, die Beschneidung zu verbieten. Als ich erfuhr, dass den Ausschussmitgliedern vor der Sitzung am Dienstag der schreckliche Anti-Brit-Mila-Film It’s a Boy von Victor Schonfeld gezeigt werden soll, haben wir in der Knesset beschlossen, auch einen Film zu produzieren und ihn in Straßburg zu zeigen.
Worum genau geht es in Ihrem Film?
Er behandelt die medizinischen Aspekte und die Vorteile der Beschneidung. Es kommen darin jüdische, muslimische und auch christliche Ärzte zu Wort. Der Film ist erst vergangene Woche entstanden. Wir haben eine längere Version von zwölf Minuten produziert und eine kürzere, die nur fünf Minuten lang ist. Die kürzere haben wir in Straßburg gezeigt. Danach war die Anhörung und dann die Debatte.
Sie selbst haben am Dienstag auch zu den Ausschussmitgliedern gesprochen.
Ja, ich habe die Resolution verurteilt und über Religionsfreiheit gesprochen. Ich sagte auch, dass man für eine Anhörung zu diesem Thema und eine Debatte darüber den denkbar unpassendsten Termin gewählt habe: ausgerechnet die Woche, in der weltweit an die Opfer der Schoa erinnert wird. Ich sagte den Ausschussmitgliedern, dass ich als Nachfahre von Holocaust-Überlebenden die Pflicht habe, für die Rituale des Judentums zu kämpfen.
Und: Wie erfolgreich war Ihre Mission in Straßburg?
Ich denke, sie war durchaus erfolgreich. Viele Teilnehmer haben erkannt, dass sowohl in der Resolution als auch im Prozess, der zu ihrer Entstehung führte, einiges im Argen liegt. Sehr gut und hilfreich war auch die brillante Präsentation eines türkischen Arztes, der davon sprach, dass die Männer und Jungen der weltweit insgesamt rund 1,5 Milliarden Muslime beschnitten sind. Da dämmerte es vielen im Saal, was der Ausschuss da eigentlich verzapft hatte. Manche wollten die Resolution sofort ändern, doch dafür ist es zu spät.
Was werden Sie jetzt tun?
Die Resolution muss zurückgenommen werden. Sie war im Herbst mit heißer Nadel entstanden, die Anhörung fand aber erst jetzt statt. Das ist die falsche Reihenfolge, und wir waren überhaupt nicht einbezogen! Inzwischen haben mehr als 100 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung einen Antrag unterzeichnet, der eine neue Resolution fordert, die die vorherige aufhebt. Es ist nun an uns, quer durch Europa zu reisen und Unterschriften zu sammeln.
Mit dem Knessetabgeordneten der Arbeitspartei sprach Tobias Kühn.