Margie Goldstein-Engle geht sonst immer aufs Ganze. Doch dieses Mal ist es das erste Weltcup-Springen für Indigo Soar, und die 52-jährige zierliche Reiterin will ihr neues Pferd nicht überfordern. Konzentriert hilft sie dem holländischen Warmblut, den richtigen Absprung zu finden. Bei jedem erfolgreich überwundenen Hindernis jubeln die Zuschauer: Kein Abwurf, zwei Zeitfehler.
Amerikas erfolgreichste Grand-Prix-Reiterin aller Zeiten siegt auch hier. Am nächsten Tag holt sie sich den zweiten Grand Prix und qualifiziert sich für das Weltcup-Finale. In der Weltrangliste rückt sie um fast 50 Plätze vor.
ponyreiten Ihre Eltern, Mona Pastroff Goldstein, eine Grundschullehrerin, und ihr Vater Irv, Bilanzbuchhalter, hatten mit Pferden wenig im Sinn. Das jüngste Kind sollte Lehrerin werden. Doch kaum hatte die Tochter einmal auf einem Pony gesessen, war sie den Pferden verfallen. Die Siebenjährige jobbte im Stall, um sich Reitstunden zu verdienen. Im Alter von neun Jahren startete Goldstein bei ihrem ersten Turnier. Auch schwere Unfälle hielten sie nicht von ihrer Passion ab. In ihrem 2005 erschienenen Buch No hurdle too high erinnert sich die Mutter, dass die Tochter einen Arm so seltsam trug. Tagelang wies das kleine Mädchen besorgte Fragen zurück. »Alles in Ordnung. Wirklich!« Irgendwann wurde es den Eltern unheimlich. Der Arzt schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Der Arm war direkt unter der Schulter gebrochen.
Spektakuläre Unfälle gehören zu ihrer Karriere wie die grandiosen Siege. Selbst nach Herzstillstand, gebrochenen Rippen, zertrümmertem Fuß und der Prognose, nie mehr reiten zu können, saß sie binnen sechs Wochen wieder im Sattel.
vorurteile Am Anfang ihrer Laufbahn musste Goldstein einige Vorurteile bekämpfen. Sie ist nur 1,48 Meter groß und wiegt keine 50 Kilo. Kaum jemand traute ihr zu, überhaupt Kontrolle über ein Pferd bekommen zu können. Um den Beweis anzutreten, ritt sie Pferde, die als unreitbar galten. Mit Einfühlungsvermögen und intensiver Beobachtung formte sie vermeintliche Leistungsverweigerer zu verlässlichen Siegern. Schnell wurde sie bekannt. Berühmt wird auch der »Goldstein-Growl«. Sie ermutigt die Pferde mit der Stimme zum Springen, nicht mit der Peitsche.
Als sie 20 war, gaben die Eltern den Traum von der Tochter als Lehrerin auf. Ihr Vater wurde ihr Manager. Pferdebesitzer standen Schlange bei ihr, denn ihre Erfolge trieben die Preise der Pferde in die Höhe. Weitere Bewunderer hatte sie aus einem anderen Grund. Mona Pastroff Goldstein erinnert sich, dass die Tochter lachend berichtet hatte, sie werde von den anderen Reitern aufgezogen, weil lauter ältere jüdische Touristen auf dem Platz herumliefen und fragten, wo denn »the little Goldstein girl« reite. »Deine Leute suchen nach Dir!«
»Ich bin mehr eine kulturelle Jüdin mit einem Sinn für Sittlichkeit«, sagt sie. Ihre Urgroßeltern waren vor den Pogromen in Russland in die USA geflüchtet. »Mir bedeutet Familie alles, ein Leben voller Mitgefühl für andere zu leben, zu helfen. Als Mitglied einer Minderheit gibt es die Verantwortung, ein Vorbild zu sein.«
hall of fame 2009 wurde sie als erste Springreiterin überhaupt in die International Jewish Sports Hall of Fame in Israel aufgenommen. Sieht sie sich selbst als jüdische Athletin? »Ich sehe mich selbst als Sportlerin, die stolz und glücklich ist, Amerikanerin zu sein.« Gibt es eine Beziehung zu Israel? »Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten und bietet denen, die nach Freiheit suchen, ein neues Leben.«
Einer der Pferdebesitzer, dessen Tiere sie trainierte, war Ben Al-Saud, Angehöriger des saudischen Königshauses. Reiterkollegen fanden die Verbindung ungewöhnlich. Hat sie jemals mit ihm über Politik gesprochen? »Wir redeten fast nur über die Pferde«, antwortet die ehemalige Studentin der Politikwissenschaft. Als der Prinz 1998 bei einem Flugzeugabsturz starb, betrauerte sie einen Freund.
In den USA ist Margie Goldstein-Engle ein Star. Es kommt vor, dass sie drei Stunden lang für wartende Fans Poster von sich signiert.
Mit 19 Jahren lernte sie den Tierarzt Steve Engle kennen. Ob sie und der Zweimetermann auch ein Paar waren, blieb der neugierigen Umwelt lange verborgen. Nach 17 Jahren wurden die langsam beunruhigten Familien erlöst. Die universalistische Hochzeitszeremonie wurde auch den katholischen Engles gerecht.
Kürzlich trat Goldstein in ihrer Heimatstadt Wellington in Florida für die Erdbebenopfer in Haiti gegen prominente Pferdeleute zum Texas Hold’em an. Auch bei dieser Turniervariante des Pokerspiels gewinnt Margie Goldstein-Engle fast immer.