USA

Die Macht des Souveräns

Immer mehr Menschen glauben, Obama sei kein »echter Amerikaner«. Foto: Reuters

Am 2. November stehen in den USA die »midterm elections« ins Haus – das sind die Wahlen pünktlich zur Hälfte der Amtszeit des Präsidenten, bei denen eigentlich alles neu gewählt wird, außer dem Präsidenten selbst: 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus, hundert Senatoren und immerhin 39 Gouverneure, die den verschiede- nen amerikanischen Bundesstaaten vorstehen. Alle erwarten, dass Barack Obama dabei schwere Prügel beziehen wird und die Demokraten ziemlich alt aussehen werden.

Das ist nichts Ungewöhnliches. Schließlich verläuft das politische Geschäft in Amerika nach folgendem Muster: Erst wählt man einen Messias ins Präsidentenamt, dann stellt man fest, dass er nicht übers Wasser laufen kann. Dafür wird der falsche Heiland dann schwer abgestraft.

Warum sollte es ausgerechnet im Falle Obamas anders zugehen? Die optimistische Hauruck-Phase ist passé, kein ökonomischer Experte kann sagen, ob Amerika die Wirtschaftskrise hinter sich hat oder noch mittendrin steckt. Die Milliarden und Abermilliarden, die zur Unterstützung des Kreislaufs dem Wirtschaftssystem von der Regierung injiziert wurden, finden die meisten, haben beklagenswert wenige Arbeitsplätze geschaffen. Der Präsident hat seine linken Unterstützer vergrätzt, weil er die Diskriminierung der Schwulen in der Armee nicht beendet und Guantanamo Bay nicht geschlossen hat. Der Krieg in Afghanistan, der den Linksliberalen noch bis gestern als guter und gerechter Feldzug galt – im Unterschied zum Irakkrieg –, hat sich mittlerweile als der viel schwierigere militärische Konflikt erwiesen.

Aber die Rechten haben Obama unterdessen auch nicht gerade ins Herz geschlossen. Die Gesundheitsreform, die der Präsident in die Wege geleitet hat, gilt ihnen als Verrat an der freien Marktwirtschaft. Und 20 Prozent der Amerikaner glauben angeblich mittlerweile die Lüge, dass Barack Obama ein heimlicher Muslim sei.

umgangston Wo stehen in all diesen Auseinandersetzungen die Juden? Eine überwältigende Mehrheit von ihnen – 85 Prozent – hat Barack Obama gewählt. Das ist auch kein Wunder, denn die amerikanischen Juden gehören zu den treuesten Wählern der Demokratischen Partei. Aber von manchen – nicht nur den älteren – hört man im privaten Gespräch das Geständnis, sie litten mittlerweile darunter, »die Katze im Sack gekauft« zu haben.

Obamas rüder Umgangston gegenüber der Jerusalemer Regierung – und das gerade jetzt, da das Überleben des Staates Israel gefährdet ist, weil Iran nach Atomwaffen greift – hat viele an diesem Präsidenten zweifeln und verzweifeln lassen. Allerdings haben sich die Gemüter inzwischen wieder beruhigt. Die brüderliche militärische Zusammenarbeit zwischen Amerika und Israel war von dem diplomatischen Tumult ohnehin zu keiner Zeit berührt gewesen.

Also: Werden die Juden Barack Obama in hellen Scharen davonlaufen, so wie sie einst Jimmy Carter davongelaufen sind? Das hängt nicht zuletzt vom Tea Party Movement ab. Anfangs konnte man glauben, es handle sich um ein vorübergehendes Phänomen, aber es scheint sich fest etabliert zu haben.

Die Tea Party ist eine außerparlamentarische Opposition mit starken Verbindungen zur Republikanischen Partei, die der Regierung vorwirft, zu hohe Steuern zu erheben und sich zu viel Macht anzumaßen. Den Versuch, eine Krankenversicherung nach europäischem Muster einzuführen, lehnt die Tea Party strikt ab und wendet sich unbarmherzig gegen illegale Einwanderer.

Kirche Die meisten Mitglieder der Tea-Party-Bewegung – die sich mit diesem Namen auf die amerikanischen Gründungsväter beruft – sind weiß und gehören der Mittelschicht an. Mehr als die Hälfte von ihnen geht jeden Sonntag in die Kirche. Manche Mitglieder haben treuherzig erklärt, dass sie die Trennung von Staat und Religion – die in der amerikanischen Verfassung festgeschrieben ist – für falsch halten.

So meinte etwa Rand Paul, der für den Senat des Staates Kentucky kandidiert, das Christentum sei »die Grundlage unserer Gesellschaft«. Glen Urquhart, der gern im Kongress sitzen würde, schob den Begriff »Trennung von Staat und Religion« mal eben Adolf Hitler in den Mund (in Wahrheit stammt er von Thomas Jefferson). Carl Paladino, der Gouverneur des Staates New York werden möchte, bezeichnete Sheldon Silver, den Sprecher der State Assembly von New York – der nicht nur Jude, sondern auch orthodox ist – öffentlich als »Hitler« und »Antichristen«.

Der Politikwissenschaftler Benjamin Ginsberg von der Johns-Hopkins-Universität wiegelt indessen ab: »Jede Bewegung hat ihre Meschuggenen«, sagt er, »ich erblicke im Tea Party Movement keinerlei Antisemitismus.« Dennoch sind Äußerungen wie die oben zitierten gewiss nicht geeignet, die Herzen der amerikanischen Juden zu gewinnen. Die Trennung von Staat und Religion ist für sie keine Nebensache, sondern eine ganz fundamentale Angelegenheit: In einem Amerika, das sich als christlich definierte, wären Juden wieder eine an den Rand gedrückte Minderheit.

Hinzu kommt, dass die meisten Juden in sozialen Fragen eher linksliberal eingestellt sind. Das einzige Thema, wo die Tea-Party-Leute bei den Juden punkten könnten, wäre die Außenpolitik. Und just da kann man gar nicht genau sagen, wo die Bewegung eigentlich steht. Ist Sarah Palin typisch, die für uneingeschränkten Siedlungsbau im Westjordanland eintritt, oder Rand Paul, der ein Isolationist ist, also auch die finanzielle Hilfe für Israel einstellen würde? Unter dem Strich kommt heraus: Das Tea Party Movement könnte am Ende jene Bewegung sein, die Juden in großer Zahl dazu bewegt, es doch noch einmal mit Barack Obama zu versuchen.

Parteidisziplin Eines ist dabei klar: Eric Cantor, der als einziger jüdischer Republikaner im Kongress sitzt und mit seinen 47 Jahren zu den jungen Erneuerern seiner Partei gehört, wird nach den Wahlen eine wichtige Rolle spielen. Derzeit ist er der Einpeitscher der Republikaner, dessen Job darin besteht, in den eigenen Reihen die Parteidisziplin durchzusetzen. Sollten die Republikaner die Mehrheit erlangen, könnte er zu ihrem Anführer im Repräsentantenhaus aufsteigen. Etwas anderes ist ebenso klar: Der entscheidende Moment in Barack Obamas Präsidentschaft, was die amerikanischen Juden betrifft, kommt nicht im November dieses Jahres, sondern wenn die israelische Luftwaffe losfliegt, um die iranischen Atomanlagen zu bombardieren.

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