Schon von Weitem fällt das in blau und weiß gestrichene Gebäude in der Calle Mariano Corona mit den beiden zierlichen Flaggenmasten auf. Es gehört zu den wenigen Häusern, die frisch angestrichen sind und an deren Mauern der Putz nicht abbröckelt. Ein weißer Kleinbus biegt in die Straße ein.
Behände steigt Eugenia Farín Levi aus und öffnet die Tür zur Synagoge »Hatikva«. »Die Hoffnung« heißt das auf Hebräisch. Der Name ist gut gewählt für die erste und einzige Synagoge von Santiago de Cuba und die älteste im Land.
»Vor 72 Jahren wurde sie gebaut. Sie weist die klassische Aufteilung einer Synagoge auf: Im hinteren Teil mit der Ausrichtung nach Jerusalem befindet sich der Gebetsraum, im vorderen Teil der Veranstaltungsbereich«, erklärt Farín Levi. Die kleine, muntere Frau ist die Gemeindevorsitzende und gehört einer der alten jüdischen Familien der Stadt an.
Boom In fünfter Generation leben die Levis in Santiago. Die Urgroßeltern sind einst aus der Türkei eingewandert. »Das trifft für viele Juden zu, die Anfang des 20. Jahrhunderts nach Kuba kamen«, sagt Levi. Der Zuckerboom und die guten wirtschaftlichen Aussichten hätten mehrere Dutzend Familien aus Istanbul und Umgebung angelockt.
Ladino Als Straßenhändler fing Farín Levis Vater damals an, verkaufte Stoffe und Kurzwaren. Schnell hatte er das nötige Geld beisammen, um einen Laden zu eröffnen. So ging es vielen jüdischen Einwanderern. Es fiel ihnen nicht schwer, sich in Kuba zurechtzufinden. »Sie sprachen Ladino, und so gab es von vornherein keine Hindernisse, denn die beiden Sprachen sind ja eng miteinander verwandt«, so Levi.
Damals boomte Kuba. Neben spanischen und libanesischen Kaufleuten gelang es auch jüdischen, sich rasch in Santiago zu etablieren. Als in den 30er-Jahren die Verfolgung in Europa zunahm, trafen immer mehr Juden in der Stadt ein. Nun kamen sie auch aus dem osteuropäischen Raum. Das brachte den Juden in Santiago den Namen »Polacos« ein, Polen. »Ja, so werden sie bis heute gemeinhin genannt«, sagt der Stadthistoriker Juan Tejera.
Daran hat sich bis heute wenig geändert, obwohl die Juden in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung treten. Das habe zwei Gründe, sagt Farín Levi: »Einerseits ist unsere Zahl von einst 1.000 auf weniger als 100 gesunken, und andererseits sind wir in die Gesellschaft der Stadt integriert.« Das ging – auch dank des Ladinos – sehr schnell. Rasch gründete sich eine Gemeinde, die wiederum den Neuankömmlingen half, sich in Kuba zurechtzufinden.
Revolution So etablierten sich die Juden in Santiagos Gesellschaft und ergriffen in den 50er-Jahren auch politisch Partei – für die Revolutionäre um Fidel Castro. »Nicht als Gemeinde, aber hier in der Synagoge wurden Flugblätter auf einem alten Matrizendrucker hergestellt«, erzählt Levi. Junge Gemeindemitglieder waren dafür verantwortlich, die wie viele andere Santiagueros mit der Diktatur von Fulgencio Batista nicht einverstanden waren.
»Mit dem Erfolg der Revolution herrschte dann ein unglaublicher Enthusiasmus in Santiago, der Keimzelle der kubanischen Revolution. Doch für die jüdische Gemeinde schlug er schon nach einem Jahr ins Gegenteil um«, erinnert sich Levi, die damals eine junge Frau war.
Die inzwischen 72-Jährige ist heute so etwas wie die Chronistin der Gemeinde. Sie hat das eine oder andere Detail der Geschichte festgehalten. So auch die schmerzliche Schließung der Synagoge 1979. »Die Abwanderung hat die Gemeinde derart ausbluten lassen, dass wir kaum mehr in der Lage waren, unser Gemeindeleben fortzuführen und die Synagoge in Schuss zu halten«, erinnert sich Levi, die damals als Ökonomin im Kulturministerium arbeitete. Die Torarollen wurden nach Havanna geschickt und die Synagoge schließlich an einen Karnevalsverein übergeben.
Hilfe Nicht nur die Levis, sondern auch die wenigen anderen noch verbliebenen jüdischen Familien in Kubas zweitgrößter Stadt bereuten diesen Schritt sehr bald. Bald traf sich wieder eine kleine Runde zum Gebet in den Privathäusern. Doch erst im Oktober 1993 besann sich die Gemeinde schließlich.
»Damals kam – erstmals seit den 60er-Jahren – ein Rabbiner zu uns. Mit ihm sprachen wir über die Zukunft der Gemeinde, und er ermunterte uns«, so Levi. Der Rabbiner sicherte ihnen Hilfe zu. Und so erhält die Gemeinde bis heute regelmäßig Geld aus Kanada sowie vom Joint Distribution Committee, einer jüdischen Wohlfahrtsorganisation aus den USA.
1995 bekam die Gemeinde ihre alte Synagoge zurück. Alle, die heute an jedem Freitag und Samstag zum Gottesdienst erscheinen, sind froh darüber. Etwa 30 sind es, die dann von der Köchin der Synagoge verköstigt werden. Auch Norma Valentino, die gegenüber wohnt und unter der Woche das Gotteshaus hütet, ist dann mit von der Partie.
»Heute sind es die Jungen, die den Gottesdienst mehr und mehr prägen und sich in Israel die nötigen Kenntnisse angeeignet haben«, freut sich Levi über den Nachwuchs. Er tritt in ihre Fußstapfen und in die von Rebeca Burton Beahar. Die beiden Frauen waren die treibende Kraft bei der Auferstehung der Gemeinde. Diese führt heute wieder ein aktives Leben, zu dem kulturelle und Diskussionsveranstaltungen gehören. Eugenia Farín Levi ist darauf sehr stolz.